Mit der steigenden Weltbevölkerung, dem in Gang befindlichen Klimawandel mit Extremwetterlagen, zunehmender Bodenerosion mit Wüstenausbreitung Bodenauslaugung und Wasserverknappung bei gleichzeitig abzusehendem Endverbrauch der konventionellen Phosphatdüngermittel einer auf Monokulturellen ( Pflanze wie Tier) und gentechnisch veränderten Anbaumethoden aufbauenden Agrarindustrie unter dem Raubbau an Ressourcen steht die Landwirtschaft als Existenzgrundlage aller Menschen vor einer ebenso grossen Herausforderung mit dem Bedarf einer grundlegenden zukunftsträchtigen Umwandlung, vergleichbar wie die Umstrukturierung der Staaten in funktionierende säkulare Rechtssysteme und die Verankerung von basispolitischen, auf Leistungsprinzip aufbauenden transparenten Politiksystemen und einer klimaverträglichen Energiewende mit Strukturwandel hin zur peripheren Energieautarkie.
Lasst Euch nicht ängstigen oder belügen: dafür haben wir jetzt schon alle notwendigen Techniken , Kenntnisse und Produkte, um diesen Wandel herbeizuführen. Auch hier kann dies nicht mit einem dringend notwendigen Strukturwandel , weg von der Grosskonzernsversorgung hin zu einer dezentral und regional aufgestellten , biologisch verträglichen („ nachhaltigen“), energiegünstigeren , aber qualitativ hochwertigeren und kulturell vielfältigeren ( „biodiversiven“) Versorgung geschehen. Dies wird wieder mit mehr ortsgebundenen zusätzlichen Arbeitsplätze einhergehen und zum Erhalt der unterschiedlicher Kulturlandschaften und deren angepassten Pflanzen -und Viehbeständen mit möglichst autarker Selbstversorgung beitragen.
Das bisherige System- wie es der Lebensmittelskandal in Ostdeutschland mit der Versorgung von zigtausenden Kindern und Schülern in den Schulküchen durch eine einzige Grossküche mit importierten tiefgefronenen leichtverderblichen Saisonfrüchten (Erdbeeren) ausserhalb der Saison aus nicht kontrollierbarer Fernostproduktion gezeigt hat- ist nicht der Weg der Zukunft: ein energieaufwendiges , intransparentes, auf Abhängigkeit einer Unmenge schlechtbezahlter Angestellter oder Subunternehmer aufbauendes System, das letztendlich eine qualitativ minderwertige Nahrungsmittelproduktion erzeugt, die nur einigen Grossunternehmen Gewinne verspricht: auf der Rücken ( Gesundheit ) unserer heranwachsenden Generation !
Die Nahrungsmittelproduktion und die Ernährung der Zukunft ist genau anders aufgestellt: lokal präventiv durch ein biologisch durchdachtes , der Region angepasstes( „nachhaltiges“) Entwicklungsmodell als „ Low cost“ selbsttragend, regional , selbstversorgend, selbstständiger Produzenten und Vermarkter vor Ort, auf landwirtschaflticher agrarökologischer lokal angepasster Techniken , in der Fruchtfolge und Fruchtzusammenstellung diversiv beruhender Anbaumethoden mit regional angepassten Züchtungen.
Bei gleichzeitiger Verbesserung der Lagerung und des Transportes von Nahrungsmitteln in den „Entwicklungsländern“, aber auch der medizinischen Versorgung der Bevölkerung gegen Gesundheits- und ernährungsbeeinträchtigenden Darmparasiten ( nicht zu unterschätzen in der Ernährungsgüte!) würde dies eine deutliche Verbesserung der Versorgung grosser Bevölkerungsanteile bei gleichzeitiger Freisetzung aus Abhängigkeiten von Grossargrarkonzernen wie Monsanto bewirken.: dieser Konzern hat allein in Indien hunderttausende abhängig gemachte Landwirte auf dem Gewissen, die sich hochverschuldete alle umgebracht haben: das System der NWO geht über Leichen!
Dabei dürfte ein vorübergehnder Protektionismus lokaler Märkte, mit vorauschauender Regulierung und Verbraucherschutz mit Direktvermarktung und verkürzter Absatzketten den Handel günstiger machen , aber diesen mit qualitativ hochwertiger Produkte versorgen, bis weider stabile lokale Produktions- und Vermarktungsstrukturen aufgestellt wruden.
Dies alles wird wahrscheinlich mit einer Zunahme an lokalen Arbeitsplätzen und dezentralere , auch der Art gerechtere Viehaltung und Produktversorgung führen und die Abhängigkeit der Bevölkerungen von Weltmarktpreisen für Grundnahrungsmittel und den gravierenden sozialen Folgen zum Profit einiger Investmentbänker eindämmen.
Gemäss der Einschätzung der Weltbank dürfte dies eine fundamentale Revolution in der Landwirtschaft sein, die sich rechnet : jeder Dollar der in der Landwirtschaft in diesem Sinne eingesetzt würde, ergäbe 3 Dollar Ertrag, in Gegensatz zu 1-2 Dollar in der Industrie!
Hier einige Beispiele.
Die Produktion von „Terra negra“, als eine Methode zur Produktion von humusartigen Bodenersatzes aus Bioabfällen und Dung, die zur Bodenverbesserung karger Böden und zur Verbesserung von Erosion minderwertiger Böden herangezogen werden kann , um ertragreiche Ackerflächen zu vergrössern und die Ausbreitung von Versteppungen rückgängig zu machen.
Z.B. die „Push- pol- Technik“ eine hochentwickelte argarökologische Technik mit Ertragssteigerung von bis zu 120% bei gleichzeitigem Verzicht auf /Ersparnis von Pflanzenschutz- und Düngemitteln . Diese wird für den Maisanbau von mittlerweile ca 50 000 Kleinbauern in Kenia zur Grundnahrungsmittelproduktion vor Ort genutzt wird, in Kombination mit der Pflanze „ Desmodium“ als stickstoffbindende Unterbodenpflanze , die gleichzeitig die Bodenverbesserung und Ersoionverhinderung bewirkt, um die Maisfelder wird in Kombination Elefantengrass zum Fernhalten von Maisschädlingen gepflanzt, das wiederum an Kleinvieh, wie Ziegen, verfüttert werden kann. Dies hat zu einer deutlichen Verbesserung der Eigen-Versorgung, des Ertrages, der Einsparung von Dünge – und Schädlingsbekämpfungsmitteln geführt und zu einer Bodenverbesserung.
BSP: Autonomie und Selbstversorgung eines ökologisch arbeitenden Bauern in Japan mit einem ausgeklügelten System der Erzeugung von 120 pflanzlicher Produkte im Jahresverlaufes mit einem ausgewogengeen Verhältnis von Weideland, Ackerbau mit Gemüse in Fruchtwechsel , einhergehend mit ergänzender Viehhaltung mit Abfallbeseitigung, Düngerproduktion in völliger Kreislaufwirtschaft, ergänzenden Produktionsmethoden z.B.da halten von Enten zur Algenvernichtng in Teichen mit Düngung derselben vor Reisanbau und anschliessender Vermarktung der Enten, eigener Biomasseherstellung und Energieproduktion zum Eigenverbrauch, einschliesslich Direktvermarktung: Autonimie , Selbstversorgung und komplette Kreislaufwirtschaft.
BsP: effektive Mikroorganismen als eine schon weltweit eingesetzte Methode z.B. zur Bodenverbesserung und als chemischer Phosphatdüngerersatz. Diese komposition hat Herr Prof Teruo Higa , Prof. für tropischen Gartenbau an der Universität Okinawa in jahrzehntelanger Arbeit entwickelt.
Hierzu hatte ich bereits in meinen erstmaligen Ausführungen berichtet , das juristisch in BRD untersagt wurde , mittels Flyern die Bevölkerung über den hervorragende Wirkung und die schlichtweg unermessliche Bandbreite an Einsatzmöglickeiten dieser Methoden zu unterrichten.
Dazu aus einem diesbetüglichen Buch im Bildteil einiger Auszüge , um einen Eindruck über die vielfältigen einsatzmöglichkeiten aufzuzeigen.
Bokashi ( Kompostherstellung als Düngebakshi für organischen Düngerproduktion in Garten und Landwirtschaft), zur Bodenverbesserung und Pflanzenpflege , einschliesslich Pflanzenschutzmittel bei Parasitenbefall, Zimmerpflanzenplege und -schutz, Wasserbiotopschutz und – erhaltungsplege, Schwimmbadhygiene, zur Herstellung von Futtermittelsilage und Futtermittelaufwertung, Plnatagenpflege im Obst – Beeren und Weinbau, auch als Frostschutzmittel für Gehölze; als Körper-, Gehege-, Aquarien-pflegemittel, auch für Fischbestände, im Huashalt als Reinigungszusätz und Korosionschutz , Hygeneverbesserung in lebensmittelproduzierendem Gewerbe und Gastronomie, Bauwesen, Holzverarbeitung und Gebäudereinigung etc.
Umdenken ist möglich und sinnvoll und angeraten!
Yes, we can!
Abschliessend noch Auszüge aus von mir erweiterten und abgeänderten Editorial von Georg Golz:
Lebensmittel sind in Deutschland so billig wie selten zuvor. Aufgrund des scharfen Wettbewerbs unter den Discountern sind die Abnahmepreise für Produkte der Milch- und Ackerbauern drastisch gesunken. Durch die wegfallende Preisbindung haben die Monopolisten im Einzelhandel die Preisunterbietung beim Preiskampf um Marktanteile ungehindert an die Produzenten weitergegeben, die sich als Landwirte nicht mehr halten konnten und zu einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb und einer Konzentrierung geführt hat und immer grösseren Massenbetreiben und Monokulturen. Dabei wird die billige Preisgestaltung insofern angestrebt- die dann noch zu einem Wegwerfverhlten geführt hat, der seines gleichen sucht- damit vor allem mit Steuermittel subventioniert , möglichst viel Produkte noch rentabel ins Ausland transportiert und vermarktet werden können. Des begünstigt eine Grossunternehmenschaft
In der Landwirtschaftspolitik hat Brüssel das letzte Wort: Die Gemeinsame Agrarpolitik ist der am stärksten vergemeinschaftete Politikbereich. Die Europäische Union will in diesem Jahrzehnt die Milchquotenregelung nicht mehr verlängern und eine stärker marktorientierte, an den Zielen der EU-Politik orientierte Agrarförderung betreiben.
Mit der von der damaligen Bundesregierung 2001 verkündeten "Agrarwende" und der Leitlinie "Klasse statt Masse" ist die hoch industrialisierte Land- und Viehwirtschaft in die Kritik geraten, ebenso die Produktion von "Genfood" und die Nutzung gentechnisch veränderten Saatgutes. Massentierhaltung, übermäßiger Fleischkonsum und Überdüngung tragen erheblich zum Wandel des Weltklimas bei: Dieser gefährdet nach einer aktuellen Oxfam-Studie die Lebensgrundlagen von 1,7 Milliarden Kleinbauern. Die Verfasser des im April 2008 vorgelegten Weltagrarberichts fordern einen Kurswechsel, um die Ernährung von neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 zu sichern und den Klimawandel einzudämmen. Die Bundesregierung hat die Ergebnisse dieses Dokuments nicht unterschrieben. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft wird neben ökonomischen auch ökologische Aspekte berücksichtigen sowie Verbraucher- und Bauerninteressen in Einklang bringen müssen.
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Tanja Busse
Landwirtschaft am Scheideweg Essay
Einleitung
Was für ein Projekt: Hunderte von Landwirtschaftsexpertinnen und -experten treffen sich vier Jahre lang, um Wissen, Kenntnisse und Erfahrungen aus der ganzen Welt zusammenzutragen und alle verfügbaren Daten zur Agrarkultur auszuwerten. Gemeinsam suchen sie nach einer Antwort auf die Frage: Wie soll die Welt in Zukunft ernährt werden? Welche Art von Landwirtschaft kann mehr als sieben Milliarden Menschen und mehr ernähren, ohne weitere ökologische Schäden anzurichten und die Bodenfruchtbarkeit zu zerstören? Wenn der Klimawandel die Ernten zerstört, wenn weniger landwirtschaftliche Nutzfläche für mehr Menschen zur Verfügung steht und in vielen Regionen das Wasser knapp wird? Wenn die neuen Mittelklassen der Schwellenländer den westlichen Ernährungsstil übernehmen und so viel Fleisch wie die Europäer und Nordamerikaner verzehren, was schon auf dem heutigen Niveau Umwelt und Klima über alle Maßen belastet?
Die Experten, die Antworten auf all diese Fragen gesucht haben, kommen aus allen Disziplinen und Branchen, die etwas zum Thema Landwirtschaft und Ernährung zu sagen haben. Unter ihnen sind Agrarwissenschaftler und Soziologen, Vertreter der Industrie, von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Verbraucherorganisationen und des traditionellen Wissens. Alle Perspektiven sollten berücksichtigt werden, von armen Ländern und von reichen, von Männern und Frauen, von Theoretikern und Praktikern. "Partizipative Wissenschaft" war das Ziel des Mammutprojekts Weltagrarbericht, der im englischen Original den sperrigen Namen International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development, kurz IAASTD, trägt.
Sein Direktor Robert Watson war Chefwissenschaftler bei der Weltbank und zuständig für das Thema Nachhaltigkeit; er hat den Weltklimarat IPCC geleitet und dann den Weltagrarbericht auf den Weg gebracht. Der sollte ähnlich wie der Weltklimarat zu einer neuen, globalen Instanz für die globalen Ernährungsfragen werden. Denn Landwirtschaft ist in ihrer industrialisierten Variante längst ebenso globalisiert wie der Rest der Wirtschaft - und damit ebenso anfällig für Krisen. Der plötzliche Anstieg der Lebensmittelpreise im Jahr 2008 etwa, der Mais, Reis und Brot für viele in den Städten vor allem des Südens unbezahlbar machte und zahlreiche Hungerrevolten auslöste, hat die Verantwortlichen bis ins Mark erschüttert. Vielen wurde deutlich, dass Hunger zum Sicherheitsproblem werde könnte. Und dass sich schon allein deshalb etwas daran ändern muss an der Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben und vor allen Dingen, wie der Zugang zu Land, Wasser und Lebensmitteln in Zukunft organisiert wird.
61 Regierungen verabschiedeten den Weltagrarbericht - doch die Bundesregierung ist bisher nicht darunter. Kurz nach der Veröffentlichung 2008 wurde Ilse Aigner zur neuen Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ernannt, doch aus ihrem Ministerium kam kein Kommentar. Frustriert über das Schweigen der Bundesregierung entschied eine Gruppe von NGOs, die sich unter dem Namen "Freunde des IAASTD" zusammengeschlossen hatten, der Agrarministerin den Bericht öffentlich zu überreichen, auf der Grünen Woche in Berlin im Januar 2009. Ein Journalist fragte die Ministerin daraufhin nach ihrer Meinung. Lachend antwortete sie, der Bericht sei ihr doch gerade erst übergeben worden: "Insofern können Sie nicht erwarten, dass ich das alles schon gelesen habe. Aber ich habe es gerne entgegengenommen." 1
Aigner war kaum drei Monate im Amt, doch wenige Tage später eröffnete sie den 1. Berliner Agrarministergipfel, bei dem es um eben jenes Thema Welternährung ging. 2 Wie kann ein Ministerium den wichtigsten internationalen Bericht zum Thema, von Weltbank, Vereinten Nationen und der EU unterstützt, ignorieren? Bis heute gibt es keine Unterschrift der Bundesregierung unter den Weltagrarbericht, und vor allem: keine Wende in der deutschen und europäischen Agrar- und Ernährungspolitik. Doch genau das fordert der Weltagrarbericht. Seine klare Botschaft lautet: So wie bisher geht es nicht weiter. Business as usual ist keine Option mehr. 3 Denn zum einen hungern immer mehr Menschen, paradoxerweise vor allem auf dem Land, und zum anderen richtet die immer dominanter werdende agrarindustrielle Produktionsweise irreversible ökologische Schäden an. Es hungern mehr Menschen als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit, über eine Milliarde. Hinzu kommt eine weitere Milliarde Mangel- und Fehlernährte: Der Weltagrarbericht gibt an, dass nur etwa zwei Drittel der Menschen ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt seien - eine Folge der Weizen-, Reis- und Mais-Monokulturen, die eine Reihe nährstoffreicherer Pflanzen verdrängt haben. Menschen, die am Mangel dieser Nährstoffe leiden, sind schwächer und anfälliger für Krankheiten. 4 Diesen Milliarden schlecht versorgter, armer Menschen stehen über eine Milliarde gegenüber, die so übergewichtig sind, dass sie ihre Gesundheit gefährden.
Der Weltagrarbericht fordert, den Hunger nicht mit Nahrungsmittellieferungen von anderswo zu bekämpfen, sondern durch einen verbesserten Anbau direkt auf den Feldern der Kleinbauern. Denn sie - und nicht die großen Betriebe - sind das Rückgrat der Welternährung: Sie produzieren den größten Teil aller Lebensmittel - auf Höfen, die kleiner sind als zwei Fußballfelder. Die durchschnittliche Hofgröße in Asien liegt bei 1,6 Hektar, darüber staunten selbst Experten, die sich lange mit kleinbäuerlicher Landwirtschaft auseinandergesetzt haben. Solche Höfe dürfen nicht mehr der direkten Konkurrenz von kapitalintensiven agrarindustriellen Betrieben ausgesetzt sein, die Arbeitskraft von Menschen und Tieren durch Maschinen, Kunstdünger und Pestizide ersetzen und die "seit Jahrzehnten politisch und wirtschaftlich so unterstützt wurden, dass sie in zunehmendem Maße von volumenbedingten Kosteneinsparungen durch Spezialisierung und zugleich von einer Externalisierung von sozialen und Umweltkosten profitieren konnten". 5
Kurz: Die Kleinbauern ernähren die Welt, ohne dabei die langfristigen Grundlagen der Agrarkultur zu zerstören. Sie brauchen Zugang zu Land und zu den regionalen Märkten. Und sie müssen vor unfairem und umweltschädlichem Wettbewerb der Agroindustrie geschützt werden. Denn der größte Teil der agrarindustriellen Betriebe wirtschaftet auf Kosten der Umwelt und der Zukunft. "Wenn wir darauf bestehen, weiter zu machen wie bisher, lässt sich die Bevölkerung der Welt in den nächsten 50 Jahren nicht mehr ernähren. Die Umweltzerstörung wird zunehmen, und die Kluft zwischen Reich und Arm wird größer werden", warnt Robert Watson.
Man kann das sehr lange ignorieren, weil die bedrohlichen Veränderungen zunächst unsichtbar sind: die Auswirkungen des Klimawandels, der schleichende Verlust der Bodenfruchtbarkeit und die schwindende Biodiversität. Die industrialisierte Landwirtschaft hat die Artenvielfalt so reduziert, dass genetische Armut droht. Nur fünfzehn Pflanzenarten liefern 90 Prozent der Energie für unsere Lebensmittel, aber diese Hochleistungspflanzen sind sehr anfällig, ebenso wie die Turbotiere in den Agrarfabriken.
Das System der agrarindustriellen Landwirtschaft ist auch deshalb gefährdet, weil es auf einem hohen Einsatz von Rohstoffen beruht, deren Verfügbarkeit bald zu Ende geht. "Wir haben ein Lebensmittelsystem, das sich bei einem Ölpreis von 15 Dollar pro Barrel entwickelt hat", sagt Paul Roberts, der in seinem Buch "The End of Food" den Kollaps der Agrarindustrie voraussagt: "Wenn der Preis auf 150 bis 200 steigt, haben wir ein Nachhaltigkeitsproblem. 40 Prozent der weltweit erzeugten Kalorien beruhen auf künstlich hergestelltem Stickstoff-Dünger. Die Vorstellung, dass dieser Dünger in den nächsten 50 Jahren vier und fünf und sechs Mal so teuer sein wird, ist atemberaubend." 6
Atemberaubend ist ein freundliches Wort für das, was Roberts beschreibt: Die Welternährungsindustrie ist von Inputs abhängig, die vor der Erschöpfung stehen: Öl, Wasser, Boden, Dünger. Hans Herren vom Millennium Institute in Arlington, Virginia, Ko-Präsident des Weltagrarberichts, bringt es so auf den Punkt: "Die industrialisierte Landwirtschaft ist bankrott, sie braucht mehr Energie, als sie produziert. Mit dem Auslaufen von fossiler Energie, der Basis für Kunstdünger und Agro-Chemikalien, wird sie in fünfzig bis hundert Jahren absterben."
Aber was ist mit den beeindruckenden Erfolgen der Grünen Revolution? Hat sie mit ihren unglaublichen Produktivitätssteigerungen durch Kunstdünger und besseres Saatgut nicht Millionen Menschen das Leben gerettet? Das hat sie ohne Zweifel - nur eben in einem System, das sich als nicht nachhaltig erwiesen hat. Es hat vor allem daran gearbeitet, rein mengenmäßig den Ertrag pro Hektar oder Vieheinheit zu steigern, ohne nach rechts und links zu schauen: 110 Doppelzentner Weizen pro Hektar - mit dem Einsatz von Kunstdünger, bei dessen Gewinnung (nach dem Haber-Bosch-Verfahren) riesige Mengen fossiler Energien verbraucht werden. Oder Kühe mit einer Jahresbestleistung von 11 000 Litern Milch, aber einer durchschnittlichen Lebenserwartung von fünf Jahren. Oder ein in 35 Tagen schlachtreif gemästetes Turbohähnchen - gefüttert mit Sojaschrot aus brasilianischen oder argentinischen Monokulturen. Soja ist ein gutes Beispiel für die Schwächen einer globalisierten Landwirtschaft: Ohne dieses billige Eiweißfutter würde unsere industrialisierte Tierhaltung nicht funktionieren. In Europa werden immer größere Ställe für immer mehr Tiere gebaut, obwohl Milch- und Fleischprodukte längst im Übermaß vorhanden sind. Deshalb bemüht sich das Bundeslandwirtschaftsministerium darum, Exportmärkte für deutsches Fleisch in Asien zu erschließen.
Die Berliner Agrarwissenschaftlerin Christina Schuler hat ausgerechnet, wie groß die Soja-Anbaufläche allein für die Tierproduktion in Deutschland ist: 28 000 Quadratkilometer, eine Fläche größer als Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland zusammen. 7 In Argentinien werden beinahe ausschließlich gentechnisch veränderte Sojabohnen angebaut: Roundup Ready Soja des ehemaligen Chemiekonzerns Monsanto wächst dort auf mehr als 15 Millionen Hektar. Auf Deutschland übertragen, hieße das, als wüchse auf allen Feldern von Flensburg bis Berchtesgaden nichts als Gensoja - und keine einzige andere Pflanze. In Brasilien wiederum wurde jahrelang Regenwald für Sojafelder abgeholzt, bis protestierende Umweltschützer ein Moratorium aushandelten. Die weltumspannende Sojawirtschaft ist das größtmögliche Gegenteil von ökologischer Kreislaufwirtschaft, mit Opfern auf allen Seiten: Die gigantischen Sojafelder zerstören die Subsistenzwirtschaft der Kleinbauern in Südamerika, die riesigen Mastställe nehmen den kleinen Bauernhöfen hier die Arbeit weg, das billige Fleisch mästet die Bevölkerung, und die weltumspannenden Transporte befeuern den Klimawandel. Und dabei ist Soja als Tierfutter für die Fleischproduktion nur ein kleines Problem angesichts der gigantischen Flächen, welche die Produktion von Agrosprit in Zukunft noch in Anspruch nehmen könnte.
Das Zauberwort des Weltagrarberichts gegen solche Entwicklungen heißt Multifunktionalität der Landwirtschaft: Alle Agrarpolitik und -forschung muss zukünftig im Blick haben, dass Landwirtschaft nicht allein ökonomische Aufgaben zu erfüllen hat, sondern auch ökologische und gesellschaftliche. Es geht nicht allein um die Erträge auf den Feldern, sondern auch darum, dass die Bauern von ihrer Arbeit in Zukunft leben können. Dass sie nicht weiter verelenden, wie derzeit die Milchbauern in Europa; dass sie nicht zur Landflucht gezwungen werden, wie in vielen Teilen Afrikas und Südamerikas. Und es geht um den Erhalt unsere Landschaften und Ökosysteme, die nicht einer Roundup-Ready-Sojabohnen-Monokultur im argentinischen Maßstab weichen sollte.
1 April 2010 erscheint: Tanja Busse, Die Ernährungsdiktatur. Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt. Blessing Verlag, München. Ilse Aigner in der Sendung Politikum auf WDR 5 am 22.1. 2009.
2 Vgl. Global Forum for Food and Agriculture, online: http://gffa-berlin.de (13.1. 2010).
3 Vgl. Weltagrarbericht. Synthesebericht, dt. Übersetzung hrsg. von Stephan Albrecht/Albert Engel, Hamburg 2009, S. 6; freier Download: http://hup.sub.uni-hamburg.de/products-page/publikationen /78 (13.1. 2010).
4 Vgl. ebd., S. 54.
5 Ebd.
6 Vgl. Paul Roberts, The End of Food, Chicago 2008.
7 Vgl. Christina Schuler, Für Fleisch nicht die Bohne. Futter und Agrokraftstoff - Flächenkonkurrenz im Doppelpack. Eine Studie zum Sojaanbau für die Erzeugung von Fleisch und Milch und für den Agrokraftstoffeinsatz in Deutschland 2007, hrsg. vom BUND, Berlin 2008.
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Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
Ausgabe 05-06 vom 01.02.2010 - Thema: Landwirtschaft
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2009.
• Jahrgang 2010 >>
• Ausgabe 05-06 2010 >>
• Beilage: Landwirtschaft >>
• Agrarpolitik in Deutschland
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Aus Politik und Zeitgeschichte
• Nr. 05-06 / 01.02.2010 - Thema: Landwirtschaft
Peter Weingarten
Agrarpolitik in Deutschland
Einleitung
Obwohl die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union (EU) erst 2008 einem "Gesundheitscheck" unterzogen und geringfügig modifiziert wurde, sind die Diskussionen über die nächste Reform der GAP bereits in vollem Gange. Wichtige Entscheidungen stehen bevor, wie die Agrarpolitik in der nächsten Finanzperiode der EU (2014 - 2020) aussehen wird. Wichtig sind diese Entscheidungen nicht nur für die Akteure der Agrar- und Ernährungswirtschaft, sondern auch für Steuerzahler und Verbraucher. Die Agrarpolitik ist seit Jahrzehnten der am stärksten vergemeinschaftete Politikbereich der EU. Die wesentlichen Entscheidungen über die Ausgestaltung der Agrarpolitik in Deutschland fallen daher auf EU-Ebene.
Dies trifft insbesondere für die Agrarmarkt- und -preispolitik sowie die ursprünglich als Ausgleich für Preissenkungen eingeführten direkten Einkommenszahlungen an Landwirte zu (diese Politikbereiche bilden die 1. Säule der GAP). Im Bereich der Politik für ländliche Räume, der so genannten 2. Säule der GAP, 1 obliegt den Bundesländern die Ausgestaltung innerhalb des von der EU gesetzten Rahmens, dem Bund kommt eine koordinierende und (ebenso wie der EU) mitfinanzierende Rolle zu. Die 2. Säule der GAP umfasst Maßnahmen der Agrarstruktur- und der Agrarumweltpolitik sowie Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung im engeren Sinne.
Die Agrarumweltpolitik in Deutschland wird damit einerseits stark von Vorgaben der EU beeinflusst. Andererseits bestehen aber Spielräume, wie die Mitgliedstaaten den Rahmen nutzen und in nationales Recht umsetzen. In einzelnen Bereichen wie dem Bodenschutz liegen die Kompetenzen bis heute vollständig bei den Mitgliedstaaten. Die Agrarsozialpolitik ist der einzige für die Landwirtschaft bedeutende Bereich, in dem nahezu ausschließlich der Bund zuständig ist.
Ziele der Agrarpolitik
Die gesetzlich proklamierten Ziele der Agrarpolitik sind in Deutschland seit mehr als 50 Jahren unverändert im Landwirtschaftsgesetz von 1955 festgeschrieben. Aus § 1 lassen sich folgende Ziele ableiten: a) Teilnahme der Landwirtschaft an der volkswirtschaftlichen Entwicklung; b) bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit Ernährungsgütern; c) Ausgleich der naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile der Landwirtschaft; d) Steigerung der Produktivität; e) Angleichung der sozialen Lage der in der Landwirtschaft Tätigen an die vergleichbarer Berufsgruppen ("Paritätsziel"). In ähnlicher Weise wurden 1957 in den Römischen Verträgen (EWG-Vertrag) in Artikel 39 die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik proklamiert: a) Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts; b) Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der in der Landwirtschaft Tätigen durch die Steigerung der Produktivität; c) Stabilisierung der Märkte; d) Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung; e) Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen. Diese Ziele wurden unverändert in den Vertrag von Lissabon übernommen. 2
Es verwundert nicht, dass in den 1950er Jahren Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie der Verbraucherschutz nicht zum Zielkatalog der Agrarpolitik gehörten. Aus heutiger Sicht kommt ihnen dagegen wichtige Bedeutung für die Agrarpolitik zu. Dass die im Landwirtschaftsgesetz bzw. den Römischen Verträgen festgelegten Ziele der Agrarpolitik seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht verändert wurden, dürfte einerseits daran liegen, dass ihre Bedeutung für die Ausgestaltung der Agrarpolitik im Zeitablauf abgenommen hat. Andererseits legt beispielsweise der Vertrag von Lissabon fest, dass bei der Festlegung und Durchführung der Politiken der Union - und damit auch der GAP - den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung zu tragen ist. Ähnliches gilt auch bezüglich des Verbraucher- und des Umweltschutzes. Das Landwirtschaftsgesetz soll laut Koalitionsvertrag in dieser Legislaturperiode novelliert werden: "Wir werden das Landwirtschaftsgesetz in Richtung eines modernen Gesetzes für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum weiterentwickeln und das Ziel einer flächendeckenden, nachhaltigen Landbewirtschaftung in Deutschland festschreiben." 3
Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik
Die Gewichte der proklamierten und der impliziten Ziele der Agrarpolitik haben sich im Laufe der Zeit verschoben. Die "Geschichte der Agrarpolitik in der Europäischen Union (...) ist eine Geschichte der Reformen", 4 wie aus der schematischen Darstellung der Entwicklung der GAP in der Tabelle deutlich wird. Vor dem Hintergrund von Unterversorgung und Hunger in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren, dem hohen Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Haushalten und den ausgeprägten strukturellen Einkommensproblemen in der Landwirtschaft kam der Ernährungssicherung und der Produktivitätssteigerung in den 1960er Jahren große Bedeutung zu. 5 Zur Regelung der Agrarmärkte wurden Marktordnungen geschaffen, was ein "grundlegender Konstruktionsfehler" 6 war: "Durch Marktordnungen für landwirtschaftliche Produkte sollten die Preise angehoben, die Landwirte geschützt und deren Einkommen verbessert werden." 7 Kennzeichnend für die meisten Marktordnungen waren ein hoher Außenschutz, Mindesterzeugerpreise (die über dem Weltmarktpreis lagen) und staatliche Aufkäufe zur Preisstützung (Interventionssystem) sowie Exportsubventionen, um Überschüsse auf dem Weltmarkt absetzen zu können.
"Milchseen", "Butter-" und "Getreideberge" sind Metaphern, welche die Öffentlichkeit in den späten 1970er und den 1980er Jahren mit der Agrarpolitik verband, ebenso wie ausufernde Agrarausgaben und subventionierte Agrarexporte mit negativen Auswirkungen auf die Erzeuger in Entwicklungsländern. Dies alles waren Folgen der stark gestiegenen (Überschuss-)Produktion. Diese Metaphern haben seit mehr als einem Jahrzehnt ihre Berechtigung verloren; "Milchseen", "Butterberge" und "Getreideberge" existieren schon lange nicht mehr. Exportsubventionen haben stark an Bedeutung verloren und sollen nach 2013 nicht mehr eingesetzt werden. In den 1980er Jahren wurden von der Gesellschaft zunehmend negative ökologische Auswirkungen der Intensivierung und regionalen Spezialisierung der Landwirtschaft wahrgenommen, in Deutschland insbesondere, nachdem der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) 1985 das Sondergutachten "Umweltprobleme der Landwirtschaft" veröffentlicht hatte. 8
Als Reaktion auf die mit den "Krisenjahren" verbundenen Probleme, aber auch im Hinblick auf die laufenden Verhandlungen zur Liberalisierung der Agrarmärkte im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade, der Vorläufereinrichtung der Welthandelsorganisation WTO/World Trade Organization) setzte der irische Agrarkommissar Ray MacSharry 1992 eine wegweisende Reform der europäischen Agrarpolitik durch, die einen ersten Schritt weg von einer einkommensorientierten Preispolitik hin zu einer am Markt orientierten Agrarpolitik darstellte. Interventionspreiskürzungen von 35 Prozent bei Getreide gingen einher mit der Einführung von flächengebundenen Preisausgleichszahlungen und einer obligatorischen Flächenstilllegung. Als flankierende Maßnahme wurde unter anderem die Förderung umweltgerechter Produktionsverfahren in die GAP eingeführt. 9
Mit der 1999 beschlossenen Agenda 2000, die unter anderem der Vorbereitung der EU auf die Osterweiterung diente, wurde dieser Reformweg einer stärkeren Marktorientierung (Kürzung von Interventionspreisen) und einer Einkommensstützung über direkte Einkommenstransfers (die nun nicht mehr Preisausgleichs-, sondern Direktzahlungen genannt werden) fortgesetzt. Die Politik zur ländlichen Entwicklung wurde als 2. Säule der GAP aufgewertet und fasst Agrarstruktur- und Agrarumweltmaßnahmen sowie über den Agrarsektor hinausgehende Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung zusammen.
Die Luxemburger Beschlüsse von 2003 ("Halbzeitbewertung der GAP") setzen den Rahmen für die GAP bis 2013. Wichtige Elemente sind weitere Kürzungen von Interventionspreisen bei gleichzeitiger Erhöhung und weitgehender Entkopplung der bisher noch an die Produktion gebundenen Direktzahlungen, die Bindung der Direktzahlungen an die Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen (Cross Compliance) 10 und die Umschichtung von Finanzmitteln aus der 1. in die 2. Säule der GAP durch Kürzung der Direktzahlungen (Modulation). Die Reformen der Marktorganisationen für Zucker (2005), Obst und Gemüse (2007) sowie Wein (2007) gehen ebenfalls in diese Richtung.
Wie in den Luxemburger Beschlüssen vorgesehen, erfolgte 2008 eine "Gesundheitsprüfung" (Health Check) der GAP. Wichtige Ergebnisse sind Maßnahmen im Milchbereich, mit denen eine "weiche Landung" bis zur 2015 erfolgenden Abschaffung der Milchquote erreicht werden sollen, ferner eine allgemeine Erhöhung der Modulation und die Einführung einer progressiven Modulation (überproportionale Kürzung der Direktzahlungen für Großbetriebe). Die durch die Health-Check-Beschlüsse aus der 1. in die 2. Säule umgeschichteten Finanzmittel müssen für die sogenannten "neuen Herausforderungen" verwendet werden, das heißt für Maßnahmen in den Bereichen Klimawandel, Erneuerbare Energien, Wassermanagement, biologische Vielfalt und Begleitmaßnahmen im Milchsektor.
Die Abbildung spiegelt die zunehmende Marktorientierung der GAP wider. Bis zur MacSharry-Reform entfielen deutlich über 90 Prozent der EU-Agrarausgaben auf Exportsubventionen und sonstige Marktstützung (staatlicher Aufkauf von Überschüssen), also auf Instrumente, welche die Überschussproduktion stimuliert haben, handelsverzerrend wirkten und Anreize für eine über das gesellschaftlich gewünschte Maß hinausgehende Nutzung von Umweltressourcen setzten. Die Reformen seit den 1990er Jahren waren mit der Reduzierung der staatlichen Preisstützung und einer Angleichung an das Niveau auf den Weltagrarmärkten verbunden. Als Ausgleich wurden Direktzahlungen eingeführt, auf die 2008 rund 70 Prozent aller EU-Agrarausgaben entfielen. Während die Direktzahlungen anfänglich an die Produktion gekoppelt waren (z.B. an die Getreidefläche oder die Anzahl an Mutterkühen), ist dies seit 2005 zunehmend nicht mehr der Fall, was zu einer gewünschten stärkeren Orientierung der landwirtschaftlichen Produktion an die Marktnachfrage führt. Sonstige Marktstützungen und Exportsubventionen machten 2008 nur noch zehn Prozent aus. Zugenommen hat in den vergangenen Jahrzehnten die Bedeutung von Maßnahmen der Politik zur ländlichen Entwicklung: Auf sie entfiel 2008 ein Fünftel der EU-Agrarausgaben.
Der Anteil der EU-Agrarausgaben am Gesamthaushalt ging in den vergangenen 20 Jahren von rund 75 auf 44 Prozent zurück und wird 2013 bei weniger als 40 Prozent liegen. 11 In absoluten Zahlen betrugen die EU-Agrarausgaben 2008 49,9 Milliarden Euro. Auf Deutschland entfielen davon insgesamt 6,5 Milliarden, von denen 5,5 Milliarden für Direktzahlungen, 0,2 Milliarden für Marktstützungen sowie 0,8 Milliarden für ländliche Entwicklung (2. Säule der GAP, nur EU-Mittel) verwendet wurden. 12
Die seit Anfang der 1990er Jahre erfolgte Abkehr von der "alten", einkommensorientierten Agrarpreispolitik hin zu einer stärker markt- und wettbewerbsorientierten Agrarpolitik mit direkten, von der aktuellen Produktion entkoppelten Einkommenstransfers ist grundsätzlich positiv zu sehen. Die Reformen der vergangenen beiden Jahrzehnte haben geholfen, Preisverzerrungen abzubauen, zu einer besseren Faktorallokation beizutragen und Wohlfahrtsverluste zu reduzieren. Sie haben den Weg zu einer Liberalisierung der Weltagrarmärkte und einer Angleichung der Agrarpreise in der EU an das Weltmarktniveau geebnet. Sie haben die Transfereffizienz erhöht, da die Stützung landwirtschaftlicher Einkommen über entkoppelte Direktzahlungen wirksamer als über gestützte Erzeugerpreise erfolgen kann. 13 Sie haben zudem die öffentlichen Haushaltsausgaben begrenzt und verlässlicher planbar gemacht. Nicht zuletzt haben sie dazu beigetragen, die Konsumenten zu entlasten, und mit der 2. Säule der GAP ein Instrumentarium geschaffen, mit dem die Entwicklung ländlicher Räume unterstützt und Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft zum Beispiel im Umweltbereich gezielt honoriert werden können.
Dass solche Reformen nicht schon eher umgesetzt wurden - produktungebundene, zeitlich befristete, direkte Einkommenszahlungen wurden bereits im sogenannten Professorengutachten von 1962 empfohlen 14- und nicht immer stringent verlaufen sind, 15hat verschiedene Gründe, auf die hier nicht eingegangen werden kann. 16 Auch wenn die heutige GAP in vielerlei Hinsicht besser ist als vor zwei Jahrzehnten, besteht weiterer Reformbedarf. Hierauf wird weiter unten zurückzukommen sein.
Politik zur Entwicklung ländlicher Räume in Deutschland
Im Gegensatz zur 1. Säule der GAP kommt bei der 2. Säule, der Politik zur Entwicklung ländlicher Räume, den Mitgliedstaaten - in Deutschland den Bundesländern - eine gewichtige Rolle bei der Formulierung, Finanzierung und Umsetzung der Politik zu. Die EU gibt mit der Verordnung zur "Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)" 17 den Rahmen vor. Dem Bund kommt über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (GAK) 18eine koordinierende und (ebenso wie der EU) mitfinanzierende Rolle 19 zu. Zur Umsetzung der 2. Säule der GAP stellen die Bundesländer Programme zur ländlichen Entwicklung auf, die von der Kommission notifiziert werden müssen. 20 Die über vierzig Maßnahmen der ELER-VO sind vier Schwerpunkten zugeordnet: 1) Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft; 2) Verbesserung der Umwelt und der Landschaft; 3) Lebensqualität im ländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft; 4) LEADER. 21 Für die Förderperiode 2007 bis 2013 stehen Deutschland an EU-Mitteln insgesamt 9,1 Milliarden Euro zur Verfügung. 22Einschließlich der Bundes- und Landesmittel 23 sind insgesamt 17,9 Milliarden an öffentlichen Mitteln für ländliche Entwicklungsmaßnahmen eingeplant. Davon wird etwa ein Viertel für Agrarumweltmaßnahmen verwendet. 24 Auf die Schwerpunkte 3 und 4, die am stärksten einem territorialen und nicht einem sektoralen Entwicklungsansatz folgen, entfallen zusammen rund 27 Prozent. 25
Die 2. Säule der GAP ist der Politikbereich, der die Förderung der Entwicklung ländlicher Räume explizit im Namen führt. Allerdings nehmen auch Maßnahmen aus anderen Politikbereichen Einfluss auf die Entwicklung ländlicher Räume. Dies wird beispielsweise durch das im April 2009 verabschiedete "Handlungskonzept der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der ländlichen Räume" 26 oder die "Konzeption zur Weiterentwicklung der Politik für ländliche Räume" des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) 27verdeutlicht.
Die Politik zur ländlichen Entwicklung wird vielfach kritisiert. So mahnen der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik beim BMELV und die OECD beispielsweise an, die Politik zur ländlichen Entwicklung stärker territorial und problemorientiert und weniger stark auf den Sektor Landwirtschaft auszurichten. 28 Von wissenschaftlicher Seite wurde auf die Probleme hingewiesen, die durch die Mehrebenenverflechtung (EU, Bund, Länder, z. T. Kommunen) im Bereich Zielfindung, Entscheidung, Durchführung und Finanzierung entstehen können, und eine stärkere Beachtung des Subsidiaritätsprinzips gefordert. 29 Evaluationen ländlicher Entwicklungsprogramme zeigen zudem, dass zwischen verschiedenen Maßnahmen große Unterschiede hinsichtlich ihrer Effektivität bestehen und die Ergebnisse der von der Europäischen Kommission vorgeschriebenen Evaluationen oftmals kaum vergleichbar sind. 30 Sollte die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" zu einer Gemeinschaftsaufgabe zur Entwicklung ländlicher Räume weiterentwickelt werden, wie dies im Agrarausschuss des Deutschen Bundestags im April 2008 diskutiert wurde, wäre sorgfältig zu prüfen, wie das Verhältnis dieser Gemeinschaftsaufgabe zu jener der "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ausgestaltet sein sollte. 31
Agrarumwelt- und Agrarsozialpolitik
Die Agrarumweltpolitik in Deutschland wird einerseits stark von Vorgaben der EU beeinflusst - etwa der ELER-VO, was die Förderung umweltfreundlicher Produktionsverfahren betrifft, der Nitrat- und Wasserrahmenrichtlinie, was den Gewässerschutz, oder der Flora-Fauna-Habitat (FFH)- und der Vogelschutzrichtlinie, was den Naturschutz betrifft (Natura 2000). Andererseits bestehen aber Spielräume, wie die Mitgliedstaaten den Rahmen nutzen und in nationales Recht umsetzen. In einzelnen Bereichen wie dem Bodenschutz liegen die Kompetenzen bis heute vollständig bei den Mitgliedstaaten.
In der GAP haben Agrarumweltmaßnahmen seit Anfang der 1990er Jahre stark an Bedeutung gewonnen. Diese setzen Landwirten, die freiwillig an solchen Maßnahmen teilnehmen, finanzielle Anreize, umweltfreundlicher zu produzieren, als es das bestehende Ordnungsrecht erfordert. Gleichzeitig wurde in den vergangenen Jahrzehnten das Ordnungsrecht verschärft, wobei oftmals ein Vollzugsdefizit beklagt wird. Durch die Einführung von Cross Compliance hat sich diese Situation tendenziell verbessert, da Verstöße gegen das Fachrecht, soweit es bei Cross Compliance einbezogen ist, Kürzungen der Direktzahlungen nach sich ziehen können. 32 Neben ordnungsrechtlichen und anreizorientierten Instrumenten kommt in der Agrarumweltpolitik insbesondere der Beratung eine wichtige Bedeutung zu.
Wie für die Sozialpolitik allgemein, so gilt auch für die Agrarsozialpolitik, dass diese nahezu ausschließlich in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegt. In Deutschland ist hierbei von Bedeutung, dass die Absicherung der Risiken Alter, Krankheit und Unfall für landwirtschaftliche Unternehmen und mitarbeitende Familienangehörige nicht im Rahmen der allgemeinen Sozialversicherungssysteme erfolgt, sondern durch Sondersysteme (landwirtschaftliche Alterssicherung, landwirtschaftliche Krankenversicherung, landwirtschaftliche Unfallversicherung). 70 Prozent (3,7 Milliarden Euro) des gesamten Agrarhaushalts des Bundes (5,29 Milliarden) entfielen 2009 auf die Agrarsozialpolitik. 33
Als schrumpfender Sektor weist die Landwirtschaft seit Jahrzehnten eine Verringerung der Anzahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten von etwa 2,5 bis drei Prozent pro Jahr aus. 34 Hieraus ergibt sich eine sehr ungünstige Relation von Beitragszahlern und Leistungsempfängern: 2007 standen in der Alterssicherung einem Beitragszahler 2,2 Leistungsempfänger gegenüber. 35 Bundeszuschüsse zum Ausgleich der strukturwandelbedingten Defizite sind daher gerechtfertigt. Während das Beitrags-Leistungs-Verhältnis in den agrarsozialen Sicherungssystemen lange Zeit erheblich vorteilhafter war als in den allgemeinen Sozialversicherungssystemen, haben sich diese Vorteile aufgrund des voranschreitenden Strukturwandels und verschiedener Reformen der Agrarsozialversicherungen in den vergangenen Jahren stark verringert. 36 Allerdings stellen Bundeszuschüsse zu den Agrarsozialversicherungen weiterhin eine der wenigen nationalen Möglichkeiten dar, Einkommenspolitik für Landwirte zu betreiben. So soll laut Koalitionsvertrag "aufgrund der krisenbedingt aktuell schwierigen Einkommenssituation" in der Milchwirtschaft der Bundeszuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung "zur Vermeidung von Beitragserhöhungen" 2010 und 2011 um insgesamt 200 Millionen Euro erhöht werden. 37
Neben der Agrarpolitik haben weitere Politikfelder an Bedeutung für die Landwirtschaft in Deutschland gewonnen. Beispielsweise hat die Energiepolitik mit der 2004 erfolgten Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zu einem Boom in der Erzeugung von Biogas geführt. 38 Die Klimapolitik wird künftig verstärkt auch die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft in den Blick nehmen. 39 Die Technologiepolitik wird über die Förderung oder Hemmung neuer Technologien - etwa im Bereich der Gentechnik - die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft beeinflussen.
Vorschläge für die GAP nach 2013
Die Diskussionen über die Ausgestaltung der GAP nach 2013 gewinnen an Fahrt. Für die zweite Jahreshälfte 2010 ist eine diesbezügliche formale Mitteilung der Kommission zu erwarten; Legislativvorschläge der Kommission könnten Mitte 2011 folgen. Wichtige Hinweise auf die künftige Ausgestaltung der Agrarpolitik sind auch von der 2010 erfolgenden Überprüfung des EU-Haushalts zu erwarten. Allgemein wird erwartet, dass der Anteil der Agrarausgaben am EU-Haushalt in der Finanzperiode 2014 bis 2020 weiter zurückgehen wird.
Im Mittelpunkt der Reformdiskussionen steht die Zukunft der Direktzahlungen, auf die 2008 rund 70 Prozent aller EU-Agrarausgaben entfielen. Sie werden auch deshalb kontrovers diskutiert, weil ihre ursprüngliche Legitimation als Einkommensausgleich für Preiskürzungen umso mehr schwindet, je länger diese Preiskürzungen zurückliegen, und die in der politischen Rhetorik zunehmend betonte "neue" Legitimierung durch Cross Compliance wenig überzeugt, solange die einzuhaltenden Standards nur unwesentlich über das geltende Fachrecht hinausgehen.
Für die Diskussion um die Zukunft der Direktzahlungen ist ebenfalls wichtig, dass insbesondere die neuen Mitgliedstaaten darauf drängen, dass ihre pro Hektar deutlich niedrigeren Direktzahlungen an das Niveau der alten Mitgliedstaaten angeglichen werden. 40 Nicht zuletzt könnten die Direktzahlungen - auch wenn sie von der Produktion entkoppelt sind - aufgrund ihres Finanzvolumens in den WTO-Verhandlungen unter Druck geraten.
Mittlerweile liegt aus der Politik, der Wissenschaft und von Verbänden eine Vielzahl von Studien und Empfehlungen für die künftige Ausgestaltung der GAP vor. Auch wenn sie sich in ihren Aussagen zum Teil deutlich voneinander unterscheiden, so ist ihnen zweierlei gemeinsam: Zum einen fordert niemand die Rückkehr zur "alten" Agrarpolitik der 1980er Jahre; zum anderen soll die Entlohnung der Landwirtschaft für die von ihr erbrachten gesellschaftlich erwünschten, nicht marktgängigen Leistungen grundsätzlich ein wichtiger Bestandteil der Agrarpolitik sein. Bei Letzterem bestehen große Unterschiede, wenn es um die Konkretisierung geht: Was ist unter diesen Leistungen, die oft auch als Gemeinwohlleistungen oder im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne als öffentliche Güter bezeichnet werden, zu verstehen?
Genannt werden Ernährungssicherung, Umweltleistungen (Biodiversität, Gewässerschutz), Erhalt der Kulturlandschaft, Beitrag zu vitalen ländlichen Räumen und anderes. Welchen Wert misst die Gesellschaft ihnen bei? 41 Soll eine Entlohnung auch dann erfolgen, wenn diese Leistungen als Koppelprodukt einer rentablen landwirtschaftlichen Produktion ohnehin anfallen? Mit welchen Instrumenten kann die Erbringung dieser Leistungen zu den gesamtwirtschaftlich geringsten Kosten erreicht werden? Welche Rolle kommt bei der Ausgestaltung des Entlohnungssystems und der Finanzierung der EU, welche den Mitgliedstaaten zu?
Von der Bundesregierung oder dem BMELV gibt es bisher keine abgestimmte Position zur GAP nach 2013, so dass offizielle Äußerungen eher vage sind: "Aus Sicht der Bundesregierung muss die Agrarpolitik den mit den Reformen von 2003 begonnenen Weg zu mehr Marktorientierung, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit fortsetzen." 42 Bundesministerin Ilse Aigner hat im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am 10. November 2009 bekräftigt, dass sie sich "auf europäischer Ebene (...) deshalb intensiv dafür einsetzen (wird), (...) dass wir nach 2013 weiterhin eine starke erste und eine gut ausgestattete zweite Säule haben werden". 43 Die Agrarministerkonferenz hat sich im September 2009 im Hinblick auf die GAP nach 2013 für "stabile entkoppelte Direktzahlungen sowie die Beibehaltung eines Sicherheitsnetzes im Rahmen der Gemeinsamen Marktorganisation", die Beibehaltung der 2. Säule der GAP (wobei der Spielraum zur Maßnahmengestaltung auf regionaler Ebene vergrößert werden soll) und eine Abschaffung der Modulation ausgesprochen. 44 Insgesamt lässt sich daraus eine Präferenz ableiten, an der bestehenden GAP keine größeren Änderungen vorzunehmen.
Die niederländische Regierung dagegen hat sich bereits 2008 in ihrem Positionspapier "Grundriss der europäischen Agrarpolitik 2020" für drastische Veränderungen ausgesprochen. Sie befürwortet einen "fließende(n) Übergang vom heutigen System der Einkommensbeihilfen und der Marktstützung zum erwünschten neuen System der Vergütung gesellschaftlich relevanter Leistungen und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Nachhaltigkeit" 45 . Auf lange Sicht solle es "keine allgemeinen Agrarbeihilfen mehr geben". 46 Drastische Änderungen der GAP werden auch von einer Gruppe europäischer Agrarökonomen gefordert. 47 In der im November 2009 veröffentlichten Deklaration "Eine Gemeinsame Agrarpolitik für europäische Gemeingüter" werden vier mögliche Ziele für die künftige GAP genannt: a) Steigerung der ökonomischen Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit; b) Sicherung der Nahrungsmittelversorgung; c) Einkommensumverteilung; d) die Förderung von Gemeinwohlleistungen. Von diesen Zielen biete lediglich das letzte eine Basis für die künftige Ausgestaltung der GAP. Allerdings solle sich die Förderung von Gemeingütern im Rahmen der GAP auf diejenigen beschränken, die Mitgliedstaaten überschreitende Bedeutung haben (Klimaschutz, Biodiversität, Gewässerschutz).
Die "Steigerung der ökonomischen Effizienz und der Wettbewerbsfähigkeit" der Landwirtschaft lasse sich am besten über funktionierende Märkte erreichen. Handlungsbedarf auf EU-Ebene sehen die Autoren nur im Bereich der Förderung von Forschung und Entwicklung als Teil der EU-Forschungspolitik. Die "Sicherung der Nahrungsmittelversorgung" sei aufgrund der Kaufkraft innerhalb der EU generell gegeben. Im Falle sehr hoher Agrarpreise könnte armen Bevölkerungsschichten, wenn notwendig, über sozialpolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten geholfen werden. "Öffentliche Mittel für den Kampf gegen Hunger und Armut in der Welt sollten besser dafür verwendet werden, Agrarforschung und Infrastruktur in den Entwicklungsländern zu fördern, statt das Geld europäischen Landwirten zu geben." 48
Im Bereich der GAP rechtfertige das Ziel "Sicherstellung der Ernährungssicherung" lediglich Maßnahmen, welche die Produktionskapazitäten der europäischen Landwirtschaft so erhalten, dass sie im Falle dauerhafter Knappheit leicht aktiviert werden können. "Einkommensumverteilung" im Sinne einer gesellschaftlich gerechteren Einkommensverteilung lässt sich durch agrarpolitische Maßnahmen nicht zielgerichtet erreichen. "Öffentliche Hilfe sollte daher auf Haushalte mit niedrigen Einkommen und Vermögen konzentriert werden, unabhängig vom Sektor, in dem sie tätig sind." 49
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) spricht sich in seiner im November 2009 verabschiedeten Stellungnahme "Für eine zeitgemäße Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)" für eine Weiterentwicklung der GAP zu einer "ökologisch orientierten Agrarpolitik" aus, "indem die Verteilung von finanziellen Mitteln eng an die Bereitstellung öffentlicher Güter gekoppelt wird". 50 Für die Honorierung dieser positiven externen Effekte der Landwirtschaft schlägt der SRU drei Instrumente vor: a) eine ökologische Grundprämie für den Umweltschutz in der Fläche (Voraussetzung: Der Landwirt stellt zehn Prozent seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche als "ökologische Vorrangfläche" bereit und erbringt bestimmte, über das bestehende Fachrecht hinausgehende Mindestleistungen); b) Agrarumweltmaßnahmen für den punktuellen Umweltschutz; c) Landschaftspflegemittel für die Erhaltung von Kulturlandschaften, die ohne diese Unterstützung wegfallen würden. 51
Andere agrarpolitisch relevante Bereiche wie die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit werden zwar als "zentrale Ansatzpunkte für Reformen" 52 benannt. Sie werden aber weder weiter thematisiert, noch wird diskutiert, welche Auswirkungen die geforderte ökologisch orientierte Agrarpolitik auf die Wettbewerbsfähigkeit oder andere agrarpolitische Ziele hat.
In einer für den Thinktank Notre Europe erstellten Studie wird ein dreistufiges Vertragszahlungssystem vorgeschlagen. 53 Die erste Stufe sieht eine Grundzahlung pro Hektar landwirtschaftlicher Fläche in ländlichen Räumen vor. Die Zahlung ist von der Produktion entkoppelt, die Flächen müssen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand gehalten und einige wenige, leicht kontrollierbare Umweltleistungen erbracht werden. Als Größenordnung werden beispielhaft 100 oder 150 Euro pro Hektar genannt. Gemäß der zweiten Stufe wird für Flächen in benachteiligten Gebieten (dünn besiedelte Regionen, Bergregionen) eine höhere Flächenprämie gewährt, die an eine extensive Bewirtschaftung gekoppelt sein kann. Die dritte Stufe sieht "Umweltzahlungen" vor, die für besondere Umweltleistungen in ökologisch sensiblen oder wertvollen Regionen etwa durch ökologischen Landbau erbracht werden. Ergänzt werden sollen diese drei Stufen durch Ruhestandszahlungen an Kleinlandwirte, die ihre Flächen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft an größere Betriebe abgeben.
Ein ähnliches, auf Alois Heißenhuber zurückgehendes Modell enthält in der ersten Stufe neben einer entkoppelten Flächenprämie und einer Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete auch eine Prämie für bodengebundene Tierhaltung als "Grundvergütung für Leistungen, die die europäische Landwirtschaft vom Weltmarkt abheben". 54 Dies soll die "Sicherstellung der Marktversorgung + Grundversorgung mit öffentlichen Gütern" 55 gewährleisten. Angelehnt an das gegenwärtige EU-Agrarbudget werden als "Zahlenbeispiel" 150 Euro pro Hektar als Flächenprämie, 100 Euro pro Großvieheinheit für maximal zwei Großvieheinheiten pro Hektar und eine Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten in Höhe von durchschnittlich 36 Prozent der Flächenprämie genannt. 56 Die zweite und dritte Stufe sehen Zahlungen für Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft vor, die über die Grundversorgung durch die erste Stufe hinausgehen.
Zwischenfazit zur Weiterentwicklung der GAP
Diese hier beispielhaft aufgeführten Studien und Empfehlungen 57 unterstreichen, dass der seit Anfang der 1990er Jahre eingeschlagene Weg zu einer stärker marktorientierten Landwirtschaft weithin nicht in Frage gestellt wird. Zugleich wird deutlich, dass die Erbringung von Gemeinwohlleistungen durch die Landwirtschaft zunehmend wichtiger für die Legitimierung einer Agrarpolitik wird, die nach wie vor beträchtliche öffentliche Mittel beansprucht, deren Umfang indes in der nächsten Finanzperiode zurückgehen dürfte. Konsens besteht auch darüber, dass von einer weiteren Liberalisierung des Agrarhandels auszugehen ist, sei es als Folge eines erfolgreichen Abschlusses der laufenden WTO-Verhandlungen oder als Folge zunehmender bilateraler Handelsabkommen. Einigkeit besteht auch darüber, dass die 2015 auslaufende Milchquotenregelung nicht verlängert wird. Übereinstimmend wird auch davon ausgegangen, dass die Erzeugerpreise in der EU zukünftig bedeutend volatiler sein werden, als dies zu Zeiten der umfassenden staatlichen Preisstützung in früheren Jahrzehnten der Fall war, und dass auch die Erzeugermengen aufgrund des Klimawandels größeren Schwankungen unterliegen werden. Damit gewinnt das Risikomanagement für Landwirte an Bedeutung.
Weit auseinander liegen die Positionen bei der Frage, welche Gemeinwohlleistungen überhaupt entlohnt werden sollen, inwieweit dies in den Kompetenzbereich der EU oder eher der Mitgliedstaaten fallen sollte und welche Rolle die bisherigen Direktzahlungen hierbei leisten können und sollten. Die Vorschläge reichen von einer langfristigen Abschaffung der Direktzahlungen und einer gezielten Entlohnung nur derjenigen öffentlichen Leistungen, die eindeutig über einzelne Mitgliedstaaten hinausgehende Auswirkungen haben (beispielsweise der Klimaschutz und Biodiversität), bis hin zu einer weitgehend unveränderten Beibehaltung der bestehenden Direktzahlungen, die dann nur als Entgelt für Gemeinwohlleistungen umetikettiert würden. Unterschiedlich sind die Meinungen auch darüber, ob die Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität in ländlichen Räumen und zur Förderung der Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft Teil der 2. Säule der GAP bleiben oder zur Regionalpolitik der EU verlagert werden sollen.
Aus ökonomischer Sicht spricht vieles dafür, die von der Landwirtschaft erbrachten, nicht marktgängigen Leistungen durch spezifische Instrumente wie Agrarumweltmaßnahmen zu honorieren. Das heutige System der Direktzahlungen, die ursprünglich als Preisausgleichzahlungen eingeführt wurden, stellt hierfür kein geeignetes Instrument dar. Landwirte brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Die Beschlüsse zur GAP nach 2013 sollten daher einen Anstieg der Mittel zur gezielten Honorierung von Gemeinwohlleistungen vorsehen und einen schrittweisen Abbau der flächendeckenden Direktzahlungen einleiten mit dem langfristigen Ziel des (nahezu) vollständigen Abbaus. Vielfach werden höhere Standards in der EU im Vergleich zu anderen Wettbewerbern auf den Weltagrarmärkten als Argument für die bestehenden Direktzahlungen angeführt.
Dieses Argument steht indes auf tönernen Füßen: Die in der EU geltenden Produktstandards müssen auch von importierten Erzeugnissen erfüllt werden, so dass sich das Argument nur auf höhere Produktionsstandards beziehen kann, die sich nicht im Produkt manifestieren. Vergleichende Untersuchungen für ausgewählte Länder und Produkte deuten darauf hin, dass die aus höheren Umweltstandards resultierenden zusätzlichen Produktionskosten in der EU relativ gering sind und allenfalls sehr geringe Direktzahlungen pro Hektar rechtfertigen könnten. 58
Eine Flächenprämie als pauschales Entgelt für den Erhalt einer flächendeckenden Landbewirtschaftung bzw. für den Erhalt der Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand kann in den Regionen gerechtfertigt sein, wo diese Flächen ansonsten brach fallen würden und nach einiger Zeit nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden könnten. Die Flächenprämie sollte sich dann nach den Kosten der Offenhaltung der Flächen (z.B. durch Mulchen) 59 richten. Bei einem Abbau der Direktzahlungen könnte auch die bestehende Cross Compliance-Regelung abgeschafft werden. Die Einhaltung von Standards und Auflagen ist in den einschlägigen Fachgesetzen geregelt, deren Vollzug auch ohne die Cross Compliance-Regelung sichergestellt sein sollte.
Die finanzielle Ausstattung der GAP nach 2013 einschließlich der Politik zur Entwicklung ländlicher Räume sollte sich an Zielen, Konzepten und alternativen Mittelverwendungen bemessen. Eine Umschichtung von Mitteln aus der 1. in die 2. Säule (Modulation) erübrigt sich dann. Dies beugt auch unbegründeten Erwartungen vor, dass in die 2. Säule umgeschichtete Mittel notwendigerweise an Landwirte zurückfließen sollten ("Bauerngeld in Bauernhand"). Die bisherigen Diskussionen über die GAP nach 2013 und die Erfahrungen mit früheren Agrarreformen zeigen, dass die Auswirkungen von Reformen auf die (Um-)Verteilung der EU-Agrarausgaben zwischen den Mitgliedstaaten oftmals stärker im Mittelpunkt stehen, als es für eine optimale Politikausgestaltung wünschenswert ist.
Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gilt für die GAP das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, 60 bei dem Europäisches Parlament und Rat gleichberechtigte Mitgesetzgeber sind. Damit wurde die Rolle des Parlaments gestärkt, das zuvor im Konsultationsverfahren lediglich (unverbindliche) Stellungnahmen abgeben konnte.
Welchen Einfluss diese institutionelle Änderung auf die Ausgestaltung der GAP nach 2013 hat, bleibt abzuwarten. Möglicherweise wird das Europäische Parlament stärker die Interessen aller Wählerinnen und Wähler berücksichtigen, als dies der Agrarministerrat tut. Entscheidungen werden transparenter getroffen, da diese nun nicht mehr wie in der Vergangenheit oft geschehen in einer langen Nachtsitzung vom Rat alleine getroffen werden können. Insgesamt könnte so den Präferenzen der landwirtschaftlichen Wähler ein geringeres Gewicht bei den Entscheidungen über die GAP nach 2013 zukommen.
Fazit
In den nächsten beiden Jahren werden die Weichen dafür gestellt, wie die Agrarpolitik in Deutschland, die wesentlich durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU bestimmt wird, für den Zeitraum von 2014 bis 2020 aussehen wird. Vieles spricht dafür, dass der mit der MacSharry-Reform 1992 begonnene positive Reformweg weiter beschritten wird.
Abzuwarten bleibt, welchen Einfluss die institutionelle Änderung, dass das Europäische Parlament nun neben dem Agrarministerrat gleichberechtigtes Entscheidungsorgan ist, auf die Ausgestaltung der GAP nach 2013 haben wird. Wenn es zu einer Kürzung von Mitteln im Bereich der heutigen 1. Säule - was sehr wahrscheinlich ist - und einer Aufwertung von Maßnahmen zur gezielten Honorierung von Gemeinwohlleistungen, die derzeit in der 2. Säule der GAP verortet sind, kommt, erweitert dies den nationalen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten und in Deutschland den der Bundesländer.
1 Maßnahmen der 1. Säule werden vollständig aus dem EU-Haushalt finanziert; Maßnahmen der 2. Säule werden von der EU und dem jeweiligen Mitgliedstaat gemeinsam finanziert und von den Mitgliedstaaten über mehrjährige Programme zur ländlichen Entwicklung umgesetzt.
2 Art. 39 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
3 Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, online: www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cduc su-fdp.pdf (4.1. 2010).
4 Dieter Kirschke/Astrid Häger, Agrarpolitik in der Europäischen Union: Abkehr vom Protektionismus?, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 118 (2008) 4, S. 49 - 54, hier: S. 49.
5 Vgl. Martin Petrick, The Co-evolution of Semantics and Policy Paradigms: 50 Years of Europe's Common Agricultural Policy, in: Intereconomics, 43 (2008) 4, S. 246 - 252.
6 D. Kirschke/A. Häger (Anm. 4), S. 49.
7 Ebd. Vor den negativen Folgen einer solchen Politik wurde von wissenschaftlicher Seite frühzeitig gewarnt, vgl. z.B das sogenannte "Professorengutachten": Gemeinsames Gutachten von Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirates beim BML und von wirtschaftswissenschaftlichen Beratern der Kommission der EWG, Wirkungen einer Senkung der Agrarpreise im Rahmen einer gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auf die Einkommensverhältnisse der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. EWG-Studien, Reihe Landwirtschaft, Nr. 11, Brüssel 1962.
8 Vgl. SRU, Umweltprobleme der Landwirtschaft, Stuttgart 1985.
9 Vgl. Wilhelm Henrichsmeyer/Heinz Peter Witzke, Agrarpolitik. Bd. 2: Bewertung und Willensbildung, Stuttgart 1994, S. 582ff.
10 Diese anderweitigen Verpflichtungen betreffen 18 EU-Richtlinien und -Verordnungen aus den Bereichen Umwelt, Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze und Tierschutz (s. Anhang III der EG-Verordnung Nr. 1782/2003) und den Erhalt der Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (s. Anhang V der Verordnung).
11 Vgl. European Commission, DG Agriculture and Rural Development. Agricultural Policy Perspectives. The CAP in perspective: from market intervention to policy innovation. Brief no. 1, December 2009, S. 10, online: http://ec.europa.eu/agriculture/publi/app-brie fs/01_en.pdf (4.1. 2010).
12 Vgl. European Commission, DG Agriculture and Rural Development. Agricultural Policy Perspectives. Member States factsheets - 2009 European Union, S. 10, online: http://ec.europa.eu/agriculture/publi/ms_factsheets/2009/de_en.pdf (4.1. 2010).
13 Allerdings ist auch bei entkoppelten Direktzahlungen davon auszugehen, dass diese mittel- bis langfristig teilweise an die Bodeneigentümer (und damit auch an Nichtlandwirte) durchgereicht werden.
14 Gemeinsames Gutachten (Anm. 7). Vgl. z.B. Ulrich Koester/Stefan Tangermann, Supplementing farm price policy by direct income payments: Cost-benefit analysis of alternative farm policies with a special application to German agriculture, in: European Review of Agricultural Economics, 4 (1977), S. 7 - 31.
15 Vgl. Stefan Tangermann, Mit einem Fuß auf dem Gaspedal, mit dem anderen auf der Bremse, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 26.2. 1999, S. 11.
16 Vgl. Günther Schmitt, Warum die Agrarpolitik ist, wie sie ist, und nicht, wie sie sein sollte, in: Agrarwirtschaft, 33 (1984), S. 129 - 136.
17 Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20.9. 2005.
18 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) (Hrsg.), Rahmenplan der GAK und Sonderrahmenplan der GAK: Maßnahmen des Küstenschutzes in Folge des Klimawandels für den Zeitraum 2009 - 2012, Berlin 2009, online: www. bmelv.de/cae/servlet/contentblob/5598 30/publicationFile/27939/Rahmenplan2009 - 2012.pdf (4.1. 2010).
19 Für die GAK standen 2009 Bundesmittel in Höhe von 700 Millionen Euro und Landesmittel in Höhe von 433 Millionen zur Verfügung (ebd.).
20 Vgl. Andreas Tietz (Hrsg.), Ländliche Entwicklungsprogramme 2007 bis 2013 in Deutschland im Vergleich - Finanzen, Schwerpunkte, Maßnahmen, in: Landbauforschung Völkenrode, Sonderheft 315, Braunschweig 2007.
21 LEADER steht für einen territorial orientierten, von privat-öffentlichen Partnerschaften (lokalen Aktionsgruppen) getragenen Entwicklungsansatz ländlicher Räume.
22 Einschließlich der zusätzlichen Modulationsmittel und ungenutzter Restmittel aus dem Health Check und EU-Konjunkturmitteln. Vgl. BMELV, Nationaler Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung ländlicher Räume 2007 - 2013, in der überarbeiteten Fassung vom 5.11. 2009, S. 56.
23 Einschließlich der Mittel für rein national finanzierte sogenannte Artikel-89-Maßnahmen.
24 Vgl. A. Tietz (Anm. 20).
25 Vgl. Andreas Tietz, Auswirkungen von Health Check und EU-Konjunkturprogramm auf die ländlichen Entwicklungsprogramme der deutschen Bundesländer, Braunschweig (i.E.).
26 Online: www.bmelv.de/cae/servlet/contentblob/44 7606/publicationFile/22789/HandlungskonzeptIMAG. pdf (5.1. 2010).
27 BMELV, Politik für ländliche Räume. Konzeption zur Weiterentwicklung der Politik für ländliche Räume, Bonn 2007.
28 Vgl. OECD, Das neue Paradigma für den ländlichen Raum: Politik und Governance, Paris 2006; OECD-Prüfbericht zur Politik für ländliche Räume Deutschland, Paris 2007; Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim BMELV, Weiterentwicklung der Politik für die ländlichen Räume, o.O. 2006.
29 Vgl. Siegfried Bauer, Back to principles: Dezentralisierung und Neuausrichtung der ländlichen Regionalpolitik, in: Agrarwirtschaft, 55 (2006), S. 137 - 141; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Kompetenzverteilung für die Agrarpolitik in der EU, Schriftenreihe des BMELF, Reihe A: Angewandte Wissenschaft, H. 468, Bonn 1998.
30 Vgl. z.B. Regina Grajewski, Ex-post-Bewertung von Proland Niedersachsen: Programm zur Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes gem. Verordnung (EG) Nr. 1257/1999, Braunschweig 2008; dies., Evaluation in der Agrarpolitik in Deutschland, in: Thomas Widmer/Wolfgang Beywl/Carlo Fabian (Hrsg.), Evaluation. Ein systematisches Handbuch, Wiesbaden 2009, S. 75 - 86.
31 Vgl. Peter Weingarten, Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes zu einer Gemeinschaftsaufgabe zur Entwicklung ländlicher Räume. Stellungnahme im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 9.4. 2008, Ausschussdrucksache 16(10)775-C, Braunschweig 2008.
32 Vgl. Bernhard Osterburg, Effizienz von Überwachungs- und Sanktionsmaßnahmen in der Agrarumweltpolitik. Bundesamt für Naturschutz (BfN), Skripten 219, Bonn 2008, S. 131 - 148.
33 Vgl. Regierung bringt Sonderprogramm Landwirtschaft auf den Weg. Länderberichte, in: Agra-Europe vom 21.12. 2009, S. 19 - 22.
34 Vgl. BMELV (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland 2008, Bremerhaven 2008, S. 54.
35 Vgl. ebd., S. 62.
36 Vgl. Peter Mehl, Die Reform der landwirtschaftlichen Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Analyse zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Agrarsozialreformgesetzes 1995, in: Berichte über Landwirtschaft, (2006), S. 438 - 454; ders., Risikostruktur und strukturwandelbedingte Belastungen der landwirtschaftlichen Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft, (2009) 2, S. 141 - 208.
37 Vgl. Koalitionsvertrag (Anm. 3), S. 48. Der Kabinettsentwurf für den Haushalt 2010 sieht vor, dass die Mittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung im Vergleich zu 2009 nicht nur um 100 Mio. Euro, sondern um weitere 100 Mio. Euro aufgestockt werden, die laut Koalitionsvertrag ursprünglich für das Grünlandmilchprogramm vorgesehen waren; vgl. Agra-Europe (Anm. 33).
38 Vgl. zur Bioenergiepolitik: Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik beim BMELV, Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung. Empfehlungen an die Politik, o.O. 2007. Zum Energiemaisanbau s. Horst Gömann/Peter Kreins/Thomas Breuer, Deutschland - Energie-Corn-Belt Europas?, in: Agrarwirtschaft, 56 (2007), S. 263 - 271.
39 Vgl. Bernhard Osterburg/Hiltrud Nieberg/Sebastian Rüter/Folkhard Isermeyer/Hans-Dieter Haenel/Jochen Hahne/Jan-Gerd Krentler/Hans Marten Paulsen/Frank Schuchardt/Jörg Schweinle/Peter Weiland, Erfassung, Bewertung und Minderung von Treibhausgasemissionen des deutschen Agrar- und Ernährungssektors, in: Arbeitsberichte aus der vTI-Agrarökonomie, (2009) 3, Braunschweig 2009.
40 Vgl. in diesem Zusammenhang die im Rahmen des Health Check entstandene gemeinsame Deklaration von Agrarministerrat und Europäischer Kommission: "In the framework of the discussions (...) on the future of the Common Agricultural Policy after 2013 (...) the Council and the Commission are committed to thoroughly examine the possibilities for development of the direct payment system in the Community and addressing the differing level of the direct payments between Member States." Council of the European Union, Adoptions of the Health Check. Interinstitutional File: 2008/0103 (CNS); 2008/0104 (CNS); 2008/0105 (CNS); 2008/0106 (CNS); 5263/09 ADD1, Brüssel, 15.1. 2009.
41 Zu den Schwierigkeiten der Quantifizierung vgl. Reiner Plankl/Peter Weingarten/Hiltrud Nieberg/Yelto Zimmer/Folkhard Isermeyer/Janina Krug/Gerhard Haxsen, Quantifizierung "gesellschaftlich gewünschter, nicht marktgängiger Leistungen" der Landwirtschaft, Braunschweig (i.E.).
42 BMELV, Gemeinsame Agrarpolitik der EU: Entwicklung und Aufgaben, online: www.bmelv.de/cln_182/SharedDocs/Standardartikel/Europa-Interna tionales/Agrarpolitik/GAP.html (5.1. 2010).
43 Bulletin der Bundesregierung Nr. 112-5 vom 10.11. 2009, online: www.bundesregierung.de/Cont ent/DE/Bulletin/2009/11/Anlagen/112 - 5-bmelv,property=pu blicationFile.pdf (5.1. 2010).
44 Agrarministerkonferenz am 18.9. 2009 in der Lutherstadt Eisleben: Ergebnisprotokoll, online: www. agrarministerkonferenz.de/uploads/AMK_Ergebnispro tokoll_ a75.pdf (5.1. 2010).
45 Grundriss der europäischen Agrarpolitik 2020, o.O., online: www.minlnv.nl/cdlpub/servlet/CDLServ let?p_ file_ id=36031 (5.1. 2010), S. 19.
46 Ebd., S. 10.
47 A Common Agricultural Policy for European Public Goods: Declaration by a Group of Leading Agricultural Economists, o.O., 2009, online: www.reform thecap.eu/sites/default/files/declaration%20on%20cap %20reform.pdf (23.12. 2009), dt.: www.reformthe cap.eu/Declaration-on-CAP-reform/Declaration-on-CAP-reform-German (23.12. 2009). Vgl. auch Valentin Zahrnt, Public Money for Public Goods: Winners and Losers from CAP Reform, ECIPE Working Paper No. 8/2009, Brüssel 2009, und Copenhagen Economics, EU budget review : options for change, Kopenhagen, 2009, online: http://ec.europa.eu/budget/reform/library/fo cus/study_ options_for_change_June09.pdf (4.1. 2010).
48 A Common Agricultural Policy (ebd.).
49 Ebd.
50 SRU, Für eine zeitgemäße Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). SRU-Stellungnahme Nr. 14, 2009, S. 3. Vgl. auch Naturschutzbund Deutschland, Landwirtschaft und Umwelt: Anforderungen an eine zukunftsfähige Agrarpolitik, Berlin 2009.
51 Vgl. SRU (ebd.), S. 15.
52 Ebd., S. 4.
53 Vgl. Jean-Christophe Bureau/Louis-Pascal Mahé, CAP reform beyond 2013: An idea for a longer view, in: Studies & Research, 64 (2008).
54 Alois Heißenhuber/Christine Hebauer/Kurt-Jürgen Hülsbergen, Ein Konzept für 2013, in: DLG-Mitteilungen, (2008) 6, S. 22 - 25; vgl. Eduard Hofer unter Mitarbeit von Christine Hebauer/Helmut Hoffmann/Leopold Kirner, Direktzahlungen an die Landwirtschaft in der Europäischen Union nach 2013, Freising 2009.
55 E. Hofer u.a. (ebd.), S. 118.
56 Vgl. ebd., S. 136f.
57 Vgl. auch Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik des BMELV, Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Vorbereitung auf den "GAP Gesundheitscheck", o.O. 2008, online: www.bmelv.de/cae/servlet/contentblob/382592/publicationFile/23016/GAP-Gesundheitscheck .pdf (5.1. 2010).
58 Vgl. Yelto Zimmer/Gerhard Haxsen/Folkhard Isermeyer/Janina Krug, Kosten der Umweltregulierungen für die deutsche Landwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung des Ackerbaus, in: R. Plankl u.a. (Anm. 41).
59 Vgl. Hiltrud Nieberg, Kosten der Offenhaltung der Landschaft, in: ebd.
60 Art. 43, Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
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Ausgabe 05-06 vom 01.02.2010 - Thema: Landwirtschaft
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2009.
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Aus Politik und Zeitgeschichte
• Nr. 05-06 / 01.02.2010 - Thema: Landwirtschaft
Karin Jürgens
Wirtschaftsstile in der Landwirtschaft
Einleitung
Wie lassen sich zeitgemäße und zukunftsfähige Konzepte gemeinsam mit der und für die Landwirtschaft entwickeln? Die akademische Auseinandersetzung um das wirtschaftliche Handeln in der Landwirtschaft dreht sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert immer wieder um die Frage nach gutem oder schlechtem Wirtschaften: als Bauer oder Unternehmer, als Klein- oder Großbetrieb? Für eine auf höchste Erträge ausgerichtete Landwirtschaft galt es lange Zeit, Landwirte von einer rationellen Wirtschaftsgesinnung und der Bereitschaft zur Intensivierung und Vergrößerung der Betriebe zu überzeugen. So war auch die wissenschaftliche Debatte davon geprägt, Landwirte über die "richtige" wirtschaftliche Grundhaltung aufzuklären. Sie blieb losgelöst von der wirtschaftlichen Realität und den Vorstellungen und Leitlinien der Landwirte.
Zu Leitbegriffen des zukunftsgerichteten Typus wirtschaftlichen Handels sollte in Westdeutschland ab den 1950er Jahren der landwirtschaftliche Familienbetrieb, später dann das landwirtschaftliche Familienunternehmen werden. Im Rückblick handelt es sich bei beiden um Begriffe, die nicht mehr als geschickte theoretische Spielarten waren, um Wirtschaftsformen zu überwinden, welche der gewünschten, fremdbestimmten Modernisierung und Rationalisierung entgegenstanden. Heute gilt Landwirtschaft als zukunftsfähig, wenn sie im Konsens mit den dringenden Ansprüchen an den Klima-, Umwelt- und Naturschutz sowie dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit gestaltet wird. Eine echte, vom tatsächlichen Handeln in der landwirtschaftlichen Praxis hergeleitete wissenschaftliche Auseinandersetzung liefert dazu die Basis. Das hier vorzustellende Konzept der Landwirtschaftsstile ist ein zukunftsweisender Ansatz.
Optimales Landwirtschaften
Trotz vieler gemeinsamer Strukturmerkmale war und ist die Landwirtschaft in sich vielfältig sozioökonomisch differenziert. Jüngste Antriebskräfte dafür waren neben dem fortschreitenden wirtschaftstrukturellen Wandel sowie Modernisierungs- und Individualisierungsprozessen auch politische Neuorientierungen (deutsche Vereinigung, Agrarwende, EU-Agrarreformen). Diese Prozesse haben zur Pluralisierung landwirtschaftlicher Entwicklungspfade geführt. 1 Die Landwirte folgen nicht unmittelbar der von außen an sie gerichteten Leitlinie, ein rein gewinnorientiertes landwirtschaftliches Unternehmen aufzubauen. Viele versuchen, die Landwirtschaft als Sozial- und Lebensform zu erhalten. Perspektiven dazu bieten alternative Einkommensquellen, Arbeitsfelder und Betriebszweige oder die ökologische und/oder regionale Produktion. Wirtschaftsstrategien wie Low-Input-Verfahren haben an Bedeutung gewonnen. 2 Tendenziell ist der Anteil der Nebenerwerbs- gegenüber den Haupterwerbsbetrieben gewachsen. Hofgemeinschaften, Kooperationen und Hofneugründungen sind neben den Familienwirtschaften immer bedeutsamer geworden. 3
Doch trotz dieser Vielfalt dienen bis heute theoretische Gegenentwürfe mit substantiellen Unterscheidungen zwischen traditionell bäuerlichem und fortschrittlich unternehmerischem Wirtschaften als konzeptionelle Instrumente zur Erklärung landwirtschaftlichen Handelns. Geschaffen wurden diese polarisierenden Denkansätze im 19. Jahrhundert, als die industrielle Modernisierung und Marktorientierung der Landwirtschaft zu den vordringlichsten Zielen des städtischen Bürgertums gehörte. Mit der Intention, die eigenen Erwartungen an die Entwicklung landwirtschaftlicher Strukturen und staatliche Ansprüche an die Landwirtschaft zu rechtfertigen, betrieben Agrartheoretiker, ob Ökonomen, Volkskundler oder Soziologen, eine Idealisierung oder Stigmatisierung entweder bäuerlicher oder unternehmerischer Bewirtschaftungsformen. Drei ideologische Richtungen bestimmten in dieser Zeit die Debatte: liberale, konservative und marxistische - in allen drei Ideologien wurde das Gegensatzpaar Bauer - Unternehmer verwendet. 4
Für Albrecht Daniel Thaer, dem Begründer der Agrarwissenschaften, war die bäuerliche Wirtschaft der Antityp (ohne Eigenpotenzial, Dynamik, Überlebensfähigkeit) und der landwirtschaftliche Großbetrieb der Prototyp, um die Landwirtschaft nach kapitalistischen, gewinnorientierten Grundsätzen zu organisieren. 5 Nach Thaers Vorstellung konnten entscheidende Produktions- und Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft nur über eine konsequente Einführung kapitalistischer Wirtschaftsmethoden erreicht werden. Sein Vorbild war der historische Sonderfall der Agrarrevolution in England (18. Jahrhundert): Im dörflichen Verband organisierte, bäuerliche Betriebe wurden zu Gunsten großbetrieblicher Strukturen zerstört. Eine soziale Klasse abhängig wirtschaftender Pächter entstand. Nationalökonomen wie Karl Bücher, Friedrich List und Werner Sombart oder der Kapitalismuskritiker Karl Marx deuteten bäuerliche Wirtschaftsweisen als primitive wirtschaftliche Entwicklungsstufe und setzten deren unausweichliche Überwindung mit kultureller und gesellschaftlicher Entwicklung gleich. 6 Stellvertretend für die konservative Richtung stehen die Arbeiten des Kulturhistorikers Wilhelm Heinrich Riehl, 7 der sich gegen die Entwicklungsinteressen der "landwirtschaftlichen Theoretiker" seiner Zeit wandte und eine Politik für den Erhalt des "Bauernstandes" forderte. "Bauern von guter Art" repräsentieren hier gesellschaftliche Stabilität, Bauernbetriebe mit spezialisierten Arbeitsweisen, Handel, Gelderwerb und gewinnorientiertem Absatz dagegen "entartete". 8
Im Nationalsozialismus begannen Agrartheoretiker damit, die beiden alternativ gedachten Szenarien vom guten oder schlechten Landwirtschaften zu einem einzigen, universalistischen und zugleich widersprüchlichen Anspruch zu verschmelzen. Sie legten ihn als Maßstab an das wirtschaftliche Handeln aller Bauern an. Trotz aller ideologischen Bevorzugungen und mystisch verklärender Zuschreibungen zielte die nationalsozialistische Agrarpolitik auf eine umfangreiche Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktion und eine Veränderung der landwirtschaftlichen Markt-, Verbands- und Gesetzesstrukturen. Die "unvergleichliche Beständigkeit des bäuerlichen Wesens" durfte nach dem NS-Ideologen Gunter Ipsen nicht dafür stehen, dass die Bauern selbst unberührt von gesellschaftlicher Entwicklung blieben. 9
Die gesellschaftlichen Probleme nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Ernährungssicherung, Eingliederung von Flüchtlingen, zweite Industrialisierung) führten schließlich dazu, dass die Agrartheoretiker die fiktiven, simplen, aber scharfen Kontrastbilder übergangslos übernahmen. Sie behielten die Deutungsmacht darüber, welche Art des Landwirtschaftens als das unerwünschte Andere, als das Dysfunktionale überwunden werden musste. 10 Ohne die kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Ausgangsbedingen wirtschaftlichen Handelns in der Landwirtschaft zu beachten wurde von der Agrartheorie ein unauflöslicher Orientierungswiderspruch auf die Menschen übertragen: nämlich sozial und kulturell als Bauern zu handeln, wirtschaftlich aber als kalkulierender Unternehmer. Dieser Widerspruch sollte sich in den folgenden Jahrzehnten nicht auflösen. Denn dieser an die Landwirtschaft gerichtete Wertmaßstab sollte in Form begrifflicher Spielarten wie "bäuerlicher Familienbetrieb" (1970er/1980er Jahre), "landwirtschaftliches Familienunternehmen" (1980er/1990er Jahre) oder - aktuell - dem "erweiterten Familienunternehmen" nicht nur in der wissenschaftlichen Agrardebatte immer wieder auftauchen; er hatte großen Einfluss auf Beratungsansätze, das Politikverständnis und vor allem auf die Umsetzung agrarpolitischer Förderinstrumente.
Bis über die 1990er Jahre hinaus blieb der Blick auf die tatsächlichen Aspekte wirtschaftlichen Handelns in der Landwirtschaft verstellt. Selbst als die Forschung begann, sich kritisch den Folgen der industrialisierten Landwirtschaft zuzuwenden, blieb sie in den denselben Kontrastbildern verhaftet: etwa, wenn sie wirtschaftliche Anpassungsleistungen und soziale Bewältigungsstrategien des Agrarstrukturwandels als Ablösung vom bäuerlichen Oikos, als Austarieren von Traditionserhalt und -bruch, als Bereitschaft zur Rationalisierung oder in Form von Handlungstypen wie subsistenz-/marktlogisch denkende Landwirte beschrieben. 11 Damit trug sie die alte Dichotomie und ihre impliziten Bewertungen stillschweigend weiter. Auch die fachwissenschaftliche Diskussion von heute leidet noch unter den alten Agrarkonzepten: Als Konsequenz der "Agrarwende", die als neues landwirtschaftliches Leitbild "Klasse statt Masse" propagierte, stand Anfang 2000 die Ausweitung der ökologischen Landwirtschaft an. Von Neuem begann die deutsche Agrarforschung, das wirtschaftliche Handeln (nun: der Ökobauern) anhand der markanten Trennlinie zwischen marktorientiert/modern und idealistisch/traditionell einzuteilen. 12
Landwirtschaftsstile
In den Niederlanden dagegen lösten sich kritische Agrarforscher von agrarwissenschaftlichen Definitionsansätzen, in denen das wirtschaftliche Handeln eng an der Anpassungs- und Bewältigungsfähigkeit des Modernisierungsparadigmas gemessen wurde. Eine Forschergruppe um den Agrarsoziologen Jan Douwe van der Ploeg präsentierte eine Konzeption, die von der alltäglich beobachtbaren Vielfalt wirtschaftlicher Rationalitäten und den vielfältigen Bedürfnissen und Ausgangsbedingen des Landwirtschaftens hergeleitet wurde: die der farming styles 13 (Landwirtschaftsstile). Die Idee hinter den Landwirtschaftsstilen war es, das Typische an der Vielfalt zu systematisieren, um unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten erklären zu können. Anregungen dazu fanden die Forscher durch ein in der damaligen Agrarforschung nicht selbstverständliches, partizipativ mit regionalen Beratungsdiensten und Praktikern umgesetztes Projekt, in dem das wirtschaftliche Handeln von Milchbauern exemplarisch und nah an der Lebenswelt betrachtet werden sollte.
Bereits in den 1920er Jahren hatten sich auch deutsche Landbauwissenschaftler (Friedrich Aeroboe 14/ Theodor Brinkmann 15 ) mit der Vielgestaltigkeit landwirtschaftlicher Ökonomien beschäftigt. Sie brachen mit der herrschenden Lehrmeinung, nur Großbetriebe könnten wirtschaftlich überlegen und kapitalis-tisch organisiert sein. Das Landwirtschaften wurde verstanden als Kunst des Notwendigsten, als Kunst stets das Notwendigste herauszufinden und zuerst zu tun. 16 Die Art und Weise des Landwirtschaftens war für sie eine Frage des Gesamtgefüges der Betriebe. Ihre Integration in Volkswirtschaft und Märkte, die Betriebsgröße und erreichbare Preise waren für sie definitive Gründe für eine extensive oder intensive Ausrichtung. Wirtschaftlicher Erfolg und Kompetenz im Wirtschaften waren keine Frage der Wirtschaftsgesinnung, sondern Landwirte mussten in ihren Augen Experten ihrer je eigenen Wirtschaftspraxis sein. Der Betrieb war ihnen "auf den Leib geschnitten": Wirtschaftlicher Erfolg konnte sich durch Geschäftstüchtigkeit, durch unternehmerisches Risiko, aber ebenso durch andere berufliche Leidenschaften (z.B. Viehzucht) einstellen - vorausgesetzt, den Landwirten gelingt es, die vielfältigen Ansprüche eines Betriebes in der Balance zu halten. Nicht den maximalen Geldgewinn, sondern den hohen, nachhaltigen privatwirtschaftlichen Nutzen, der über den Geldverdienst ebenso wie über die Natural- und Versorgungswirtschaft erreicht werden könnte, definierten sie als optimale (land-)wirtschaftliche Rationalität.
Bei den Landwirtschaftsstilen geht es also im Kern um die Beziehungen, Einstellungen und Strategien, welche Landwirtsfamilien in Abgrenzung zur wirtschaftlichen Praxis anderer Betriebe entwickeln. In einem landwirtschaftlichen Betrieb muss eine Bandbreite variabel auftretender Aufgaben sorgfältig koordiniert werden. Dies enthält eine je spezifische Koordination im Bereich der Produktion und Reproduktion. Innovative Stärke dieses Konzeptes ist es, wirtschaftliches Handeln als Ergebnis der Aushandlung dieser praktischen, persönlichen und theoretischen Elemente zu verstehen. Wie gelingt es Landwirten, ökonomische, politische und technologische Aspekte des Wirtschaftens mit praktischen Anforderungen sowie persönlichen und kulturellen Ansprüchen, Werten und Interessen zu verbinden? Ein Landwirtschaftsstil entfaltet sich dauerhaft durch die sorgfältige Koordination der komplexen und vielfältigen Aufgaben, die Landwirte in der alltäglichen Arbeits- und Wirtschaftspraxis zu bewältigen haben. 17 Van der Ploeg grenzte beispielsweise die Landwirtschaftsstile von Milchbauern in den 1990er Jahren in Form typischer Gruppen voneinander ab: intensive, große oder wirtschaftliche Bauern; Züchter oder Maschinenbauern.
Landwirtschaftsstile beschreiben eine geregelte Art und Weise des wirtschaftlichen Handelns, eine grundlegende ökonomische Rationalität der Bauern. Sie repräsentieren die eigenständigen Antworten, die beispielsweise die Milchbauern auf den landwirtschaftlichen Strukturwandel seit den 1950er Jahren in den Niederlanden fanden (auf die eigenen Ressourcen orientiert zu wirtschaften, ohne Schulden zu machen, statt den Ertrag durch maximalen Einsatz externen Kapitals und Ressourcen permanent zu steigern; auf langsames Wachstum zu setzen, statt sehr expansive Wachstumsschritte vorzunehmen; auf eigene handwerkliche Kompetenzen und Familienarbeitskraft setzen, statt neue, Arbeitszeit sparende Technologien einzusetzen). Es steht der wirtschaftliche Gestaltungs- und Handlungsspielraum von Landwirten im Vordergrund - ein Manövrierraum, in dem Märkte und Technologien den Kontext für Varianten der wirtschaftlichen Ausgestaltung der Betriebe bieten. Bevorzugen Landwirte etwa Technologien neuesten Standards, sind sie abhängiger von externen Dienstleistungen und Fachwerkstätten und damit stärker in externe Märkte integriert; setzen sie dagegen eher Gebrauchtmaschinen ein, die selbst repariert werden können, dann führt dies zu einer geringeren Marktintegration. Solche Manövrierräume ergeben sich immer dort, wo nicht nur die Produktion, sondern auch die Reproduktion wichtiger Ressourcen auf dem Hof selbst möglich ist (Viehhaltung, Futter, Arbeit).
Landwirtschaftsstile in Deutschland
International nahmen viele Wissenschaftler das Konzept der farming styles auf und entwickelten es am Beispiel unterschiedlicher landwirtschaftlicher "Branchen" weiter (z.B. italienische Rindermäster; niederländische Schweinehalter; australische Wein- und Obstbauern). Methodisch gibt es keinen einheitlichen Weg zur Erforschung von farming styles. 18Mittlerweile nutzen sogar Agrarhistoriker dieses Konzept. 19
In Deutschland wurden Mitte der 2000er Jahre erste Untersuchungen zu den Wirtschaftsstilen unter Milchbauern durchgeführt. 20 Methodisch und konzeptionell wurde eine wesentliche Kritik an dem Ansatz von van der Ploeg aufgenommen, indem die Entwicklung von Landwirtschaftsstilen auf Milchviehbetrieben aus einer längerfristigen Perspektive, also betriebsbiografisch betrachtet wurde. Dabei wurden grundlegende ethische Wertorientierungen und Leitbilder ebenso wie familiäre Strukturen einbezogen. Auch sollte sich die Forschungsperspektive noch stärker auf die Praxis der milchviehhaltenden Betriebe verdichten: von den wirtschaftlichen Grundprinzipien über die Arbeitspraxis und Betriebsorganisation zu den gewählten Haltungs- und Stallformen, der Zuchtpraxis und Fütterung bis hin zu Fragen über die Bedeutung der Arbeit mit Nutztieren. Gegebene Ressourcen (Betriebsgröße, Milchquote), politische und institutionelle Vorgaben, aber auch die Visionen aller auf dem Betrieb wirkenden Personen und Generationen nahmen Einfluss auf die Betriebsgestaltung. Wie die Betriebe geführt wurden, hing stark vom Generations- und Lebensstadium der Menschen ab, in dem sie sich mit ihrem Betrieb befanden: Landwirtschaftsstile sind dynamisch.
Als grundlegende Ausprägungen ihres wirtschaftlichen Handelns und damit als Landwirtschaftsstile zeichnete sich Mitte der 2000er Jahre unter den Milchviehbetrieben ab, dass sie neue Balancen zwischen Vielseitigkeit und Spezialisierung suchten. Drei Landwirtschaftsstile lassen sich unterscheiden.
Stil 1: Vielseitig bleiben und im Plus wirtschaften. Auf Größe und Wachstum kommt es nicht an - diesem Handlungsmotiv folgte eine Gruppe der Milchviehbetriebe mit drei wesentlichen Leitlinien: 1) den bestehenden wirtschaftlichen Rahmen bestmöglich auszunutzen (Gebäude, Land, Betriebsgröße, Milchquote, Vieh); 2) "im Plus wirtschaften" (keine/wenig Schulden; größere Investitionen nur auf Basis finanzieller Rücklagen; Wachstum Schritt für Schritt; low input); 3) Vielseitigkeit in der eigentlichen landwirtschaftlichen Produktion. Sich modernisieren heißt für diese Landwirte nicht, allgemein empfohlene, schlüsselfertige "Projekte" nachzuahmen und die Betriebe durch Intensivierung und Vergrößerung weiterzuentwickeln. Sie verfolgen relativ autonome Wirtschaftsstrategien, in dem sie die benötigten Ressourcen für die Produktion wie Arbeit, Futtermittel, Vieh möglichst auf dem eigenen Betrieb mobilisieren. Die Betriebsentwicklung gestalten sie durch ständige kleine Innovationen im Detail und indem sie die Wertschöpfung aus ihrer Produktion erhöhen (z.B. durch eigene Vermarktung von Fleischprodukten). Bei diesen Betrieben bleiben Milchkuhbestand und Milchleistung über Jahrzehnte stabil. Ihre Strategie besteht darin, mit weniger Milchleistung mehr Geld zu verdienen. Sie kreuzen dafür robuste Rinderrassen ein, achten auf eine gute Gesundheit (geringe Tierarztkosten) und Langlebigkeit der Tiere, das Grünland wird durch Weidehaltung und zur Grundfutterwerbung voll ausgenutzt, Kraftfutterzukauf vermieden (Verfütterung von eigenem Getreide). Die Arbeit organisieren sie durch informelle Betriebs- und Maschinenkooperationen und eigene handwerkliche und technische Fähigkeiten.
Stil 2: Spezialisierung und neue Vielseitigkeit. Diese Betriebe haben sich im Laufe ihrer Betriebsgeschichte auf intensive Milchproduktion spezialisiert, den Gemischtbetrieb abgeschafft und trotzdem eine neue Vielseitigkeit aufgebaut. Sie streben eine Vergrößerung des Viehbesatzes an und relative Unabhängigkeit von den eigenen begrenzten betrieblichen Ressourcen. Sie erhöhen die Größe der Herde und die Milchleistung durch den Einsatz und Zukauf externer Betriebsmittel wie Futterkonzentrate, Düngemitteln, Maschinen oder Tiere. In Abständen werden relativ große Investitionen für elementare Wachstumsschritte und technologische Erneuerungen in der Milchviehhaltung umgesetzt (Stallneubauten, Vergrößerung der Anbaufläche, Einsatz neuester Reproduktionstechnologien). In der Milchviehhaltung setzen sie auf hohe Leistung, die Nutzungsdauer der Tiere ist kurz. Sie entscheiden sich für Spezialisierung - aber auf einer alten wirtschaftlichen Grundstrategie, der Vielseitigkeit -, ausgefüllt mit neuen Inhalten: Auf diesen Betrieben finden sich immer weitere, besondere wirtschaftliche Standbeine, etwa die Bullenmast für Rindfleischmarkenprogramme, eine eigene Molkerei zur Selbstvermarktung von Milch, Dienstleistungstätigkeiten, Solarenergie und Zuchttiere.
Stil 3: Spezialisierung und Vergrößerung durch gemeinsames Wachstum. Eine andere Gruppe von Betrieben nutzt alle Ressourcen, um Arbeitsteilung, Spezialisierung und Vergrößerung der Milchviehhaltung für ihren Betrieb voranzutreiben. Sie organisieren betriebliche Arbeitsteiligkeit, indem sie Kooperationen mit anderen spezialisierten Betrieben (Ackerbau, Milchvieh) eingehen. Ihre wirtschaftliche Philosophie gilt dem "gemeinsamen Wachstum", mit dem sie sich im Kampf um das betriebliche Überleben Vorteile verschaffen wollen. Eine kostenorientierte, leistungsstarke, optimierte Milchproduktion selbst steht hier im Vordergrund, aber nicht die Hochleistungszucht mit einer ständigen Verbesserung der Milchleistung. Kühe sind für diese Betriebe zum Melken da: Sie verzichten durchaus auf modernste Zuchttechnologien (Besamung, Embryotransfer) und setzen kostensparend auch Deckbullen ein. Im Glauben, dass nur wenige, aber eben große Betriebe wirtschaftlich überleben können, ordnen diese Milchbauern Verbesserungsmöglichkeiten in internen betrieblichen Produktionsprozessen immer dem betrieblichen Wachstum unter.
Es gibt aber auch Landwirte, die nicht durch einen Stil, sondern vielmehr durch Orientierungslosigkeit im wirtschaftlichen Handeln auffallen. Sie verhalten sich zögerlich, wenn es um Entscheidungen zur weiteren Veränderung ihrer Betriebe geht. Angesichts einer schwierigen wirtschaftlichen Lage wird improvisiert und gelegenheitsorientiert gewirtschaftet.
Landwirtschaftsstile als Wege zur Veränderung
Um die Landwirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit verändern zu wollen, brauchen wir ein vertieftes Verständnis davon, wie die Menschen von der bisherigen zu einer zukunftsgerichteten Landwirtschaft kommen können. Das Agrarkonzept der Landwirtschaftsstile erscheint hier als innovativer und zugleich realistischer Weg, praxisorientierte Optionen und Vorschläge zu finden, statt Landwirten eine bloße Wirtschaftsgesinnung anzuraten oder Technologie und Wissenschaft allein als Verbündete im Streben um eine gute Art des Landwirtschaftens zu sehen. Landwirtschaftstile lassen sich nicht nur auf Aspekte wie die Vielseitigkeit der Betriebe, ihre spezifischen Wachstumsstrategien, die Integration in Märkte, auf den Einsatz der Technologien oder den Zugang zu benötigten Ressourcen wie Arbeit (Fremdarbeit oder Familienkräfte) oder Betriebsmittel (Kauf oder Eigenproduktion) übertragen. Mit den Landwirtschaftsstilen können unterschiedliche Ausprägungen wirtschaftlichen Handelns zweifellos auch aus ethischer, umweltbezogener oder sozialer Sicht erklärt werden.
Mit den Landwirtschaftsstilen wurden eigenständige Antworten auf die Frage entwickelt, welcher Umgang mit den Tieren angemessen und verantwortbar ist. Im Stil 1 besitzen die Landwirte Kenntnisse über jedes einzelne Tier, sie bemühen sich um gesunde, langlebige Tiere, die sie überwiegend auf der Weide halten. Im Stil 2 werden regelmäßig Verbesserungsmöglichkeiten in der Laufstallhaltung umgesetzt. Betont werden die richtigen technischen Ausstattungen der Ställe, um Tiere vernünftig behandeln zu können. Weidehaltung wird zu Gunsten der Stallhaltung aufgegeben. Im Stil 3 ist Tierhaltung mehr eine Frage des Managements. Im Vordergrund stehen vor allem physiologische Bedürfnisse von Nutztieren (Futter, Gesundheit), die es für eine verbesserte Leistung zu optimieren gilt.
Landwirtschaftsstile können in der alltäglichen Praxis und mit dem Erfahrungswissen erarbeitete Wege aufzeigen, die einen Kompromiss zum ständigen Intensivierungs- und Vergrößerungsdruck darstellen - ohne dass die Betriebe sich von der eigentlichen landwirtschaftlichen Produktion entfernen müssen. Gerade in Stil 1 wird die Landwirtschaft an die vorhandenen Ressourcen angepasst; durch eine flexible Nutzung produktionsrelevanter Ressourcen und eine hohe Wertschöpfung gelingt es, eine relativ geringe Basis an externen Ressourcen zu verbrauchen. 21 Stil 3 dagegen ist auf die Ausnutzung externer Ressourcen ausgerichtet. Wie labil diese Ausrichtung sein kann, zeigte sich in Zusammenhang mit der aktuellen Wirtschaftskrise, als die Bundesregierung Liquiditätshilfen gerade für diese Betriebe auflegen musste.
Aus der landwirtschaftlichen Praxis heraus wurden Antworten auf unterschiedlichste Konsequenzen des dominierenden Modernisierungsparadigmas des "Wachsen oder Weichens" gefunden. Hier gilt es weiterzuarbeiten. Das Konzept der Landwirtschaftsstile ermöglicht es, gemeinsam mit der Praxis gute Lösungen herauszuarbeiten - bereits in der Praxis etablierte Fähigkeiten, die es ermöglichen, Landwirtschaft in vielerlei Hinsicht "gut" zu betreiben: ökonomisch, nachhaltig, tier-, umwelt- und auch klimagerecht.
1 Vgl. Götz Schmidt/Ulrich Jasper, Agrarwende, München 2001.
2 Vgl. Jan Douwe van der Ploeg, Revitalizing Agriculture, in: Sociologia Ruralis, 40 (2000) 4, S. 498 - 511.
3 Dieser Text bezieht sich auf die westdeutsche Landwirtschaft. Auch in den ostdeutschen Bundesländern entstanden nach 1990 differenzierte Produktions- und Sozialstrukturen mit vielfältigen Organisations- und Rechtsformen. Einzelbäuerliche Neu- und Wiedereinrichtungsbetriebe entstanden, viele Genossenschaftsmitglieder hielten aber auch an der gemeinschaftlichen, kollektiven Landbewirtschaftung fest.
4 Vgl. Andreas Bodenstedt/Andreas Nebelung, Agar-Kultur-Soziologie, Gießen 2003.
5 Hauptwerke: Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe (1809); Grundsätze der rationellen Landwirtschaft (1809 - 1812).
6 Vgl. Michael Kopsidis, Agrarentwicklung, Stuttgart 2006. Die Gedanken des in Russland wirkenden Alexander Tschajanow, der eine auf der sozialen Eigenständigkeit begründete "Lehre von der bäuerlichen Wirtschaft" (1923) erarbeitete, erfuhren erst ab den 1960er Jahren unter deutschen Entwicklungssoziologen Anerkennung; vgl. A. Bodenstedt/A. Nebelung (Anm. 4), S. 289.
7 Vgl. ebd., S. 286.
8 Wilhelm H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, Stuttgart 1861.
9 Vgl. Gunter Ipsen, Das Landvolk, Hamburg 1933, S. 17.
10 Vgl. Clemens Dirscherl, Bäuerliche Freiheit und genossenschaftliche Koordination, Bamberg 1989, S. 50f.
11 Vgl. Peter Schallberger, Subsistenz und Markt. Bäuerliche Positionierungsleistungen unter veränderten Handlungsbedingungen, Bern 1996.
12 Vgl. hierzu Katrin Hirte/Jürgen Walter, Handlungsstrategien und Werte, Neubrandenburg 2005.
13 Vgl. Jan Douwe van der Ploeg, Styles of Farming, in: ders./Ann Long, Born from Within, Assen 1994.
14 Vgl. Friedrich Aeroboe, Allgemeine Landwirtschaftliche Betriebslehre, Berlin 1923.
15 Vgl. Theodor Brinkmann, Die Ökonomik des landwirtschaftlichen Betriebes, Tübingen 1922.
16 Vgl. F. Aeroboe (Anm. 14), S. 613.
17 Vgl. Jan Douwe van der Ploeg, The Virtual Farmer, Assen 2003.
18 Vgl. Frank Vanclay/Luciano Mesiti, Specifying the farming styles in viticulture, in: Australian Journal of Experimental Agriculture, 46 (2006) 4, S. 585 - 593.
19 Vgl. Ernst Langthaler/Rita Garstenauer/Sophie Kickinger/Ulrich Schwarz, Landwirtschaftsstile, Ms., St. Pölten 2008.
20 Vgl. Karin Jürgens, Der Blick in den Stall fehlt, in: Der kritische Agrarbericht 2008, Kassel 2008, S. 140 - 144.
21 Vgl. hierzu J. D. van der Ploeg (Anm. 2).
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Ausgabe 05-06 vom 01.02.2010 - Thema: Landwirtschaft
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2009.
http://www.biooekonomierat.de/biooekonomierat.html
http://www.biooekonomierat.de/biooekonomierat.html
Da steht sie, die Raffinerie der Zukunft, effizient, nachhaltig, klimaneutral und ökonomisch ungemein erfolgreich. An ihren Zufahrten werden Bauern die Ausgangsstoffe anliefern: Feldprodukte wie Mais und Weizen, Zuckerrüben, Kartoffeln, dazu Abfälle wie Kuhmist und Kompost. Forstwirte werden Holzschnitzel bringen, Mikrobiologen Algen liefern. Am Ende spuckt diese Raffinerie nicht nur traditionelle landwirtschaftliche Erzeugnisse für den Supermarkt und die Nahrungsmittelindustrie aus, sondern auch Pflanzenfasern für Dämmstoffe, Möbel oder Kleidung, Rohstoffe für Medikamente, Zutaten für die Kunststoffproduktion und andere Bereiche der Chemieindustrie. Und während hier pflanzliche Rohstoffe veredelt werden, soll fast nebenbei noch CO₂-freie Energie geliefert werden.
Mit Bauernhöfen und Agrarfabriken, wie wir sie heute kennen, hat diese Szene nur noch wenig gemein. Hier wird wirklich jedes pflanzliche Molekül verwertet. Schon im Vorfeld haben Züchter bei der Suche nach den besten Pflanzensorten nicht nur auf den Ertrag geachtet, sondern auch auf die optimale Nutzung des Bodens und die Eigenschaften der Pflanzen für die spätere Verarbeitung. Was nicht im Repertoire der Natur steckte, wurde auf gentechnischem Weg von einer Art auf eine andere übertragen. Auf der Suche nach den besten Anbaumethoden haben Ökobauern und konventionell arbeitende Landwirte ihr Wissen vereint, mit Sachverstand und Weitsicht an den jeweiligen Standort angepasst.
Das ist – konzentriert und zugespitzt – die Vision der »Bioökonomie«: Züchtungs- und Ernährungsforscher, Lebensmittelproduzenten und Energiewirte, kurz Wissenschaft und Industrie arbeiten interdisziplinär zusammen, um die Ernährung zu sichern, saubere Energie zu liefern und unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu beenden.
Der Bauer und der Brauer, der Saatzüchter wie der Bäcker, der Lieferant von pflanzlichen Rohstoffen für die Industrie oder der Betreiber einer Biogasanlage – sie alle wirtschaften mit biologischen Ressourcen. Bioökonomie umfasst »alle wirtschaftlichen Sektoren und ihre dazugehörigen Dienstleistungen, die biologische Ressourcen produzieren, be- oder verarbeiten oder in irgendeiner Form nutzen«. So definiert es der 2009 von den Bundesministerien für Forschung und Landwirtschaft eingesetzte Bioökonomierat
Am Anfang der Bioökonomie steht die pflanzliche Fotosynthese. Aus Licht, Wasser und Kohlendioxid erzeugt sie energiereiche chemische Verbindungen, die vielfach nutzbar sind: auf dem Teller, im Tank, als Rohstoff. Ein kluger Umgang mit ihnen könnte die Abhängigkeit von fossilem Kohlenstoff – vor allem vom Öl – beenden und gleichzeitig helfen, den Welthunger zu besiegen.
Darum soll der Acker in Zukunft neben Nahrung auch Energie und Rohstoffe liefern. Die Bioökonomie soll dabei nachhaltig und klimafreundlich werden und Deutschland im internationalen Wettbewerb stärken. Im November will die Bundesregierung eine Forschungsstrategie präsentieren, die diesen Zielen gerecht wird. In dieser Woche hat der Bioökonomierat eine Studie mit seinen Empfehlungen dazu veröffentlicht
http://www.biooekonomierat.de/biooekonomierat.html
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Fachwissenschaftler, im Auftrag der Bundesministerinnen Annette Schavan (Forschung) und Ilse Aigner (Landwirtschaft) seine Empfehlungen zur künftigen deutschen Agrarforschung vor. Was den einen weitsichtig erscheint und einen Durchbruch ins postfossile Zeitalter verheißt, löste bei anderen schon im Vorfeld Horrorvorstellungen aus: von gentechnisch erzeugten Monokulturen, die ökologische Wüsten hinterlassen. Von endlos langen Lkw-Kolonnen, die Biomasse quer durchs Land in die Umwälzanlagen karren. Von hungernden Familien in Schwellen- und Entwicklungsländern, deren Nahrung verheizt oder verarbeitet wird. Der Bioökonomierat setze die »lange Tradition« fort, »mit Ingenieurskunst und technischem Fortschritt all die Probleme lösen zu wollen, die aus technischem Fortschritt und einem verengten Verständnis von Natur und Umwelt resultieren«, kritisierte etwa Steffi Ober, Gentechnikreferentin beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu).
Wo doch die Äcker die Menschen in einigen Weltregionen schon bisher kaum ernähren konnten, sollen sie nun Nahrung, Rohstoff und Energie liefern: Bedeutet Bioökonomie, dass sich in von Armut zerrissenen Nationen der Konflikt um die begrenzten Land- und Nahrungsressourcen noch verschärft?
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Agrarwirtschaft | Grüne Gentechnik | Rohstoff | Energie | Biotechnologie
Zielkonflikte nennt man das. Und sie zeichnen sich bereits ab. Zur Lösung empfehlen die Gutachter »Forschung und Technologieentwicklung«. Fragt sich nur: Welche Forschung? Welche Technologie? Und wer entscheidet darüber? Im 60-seitigen Gutachten des Rates wird – das ist die gute Nachricht – kein Lösungsansatz von vornherein abqualifiziert. Im Gegenteil: Die Experten kontern die Komplexität des Themas mit einer überbordenden Disziplinen- und Methodenvielfalt.
Auch die Ziele sind beileibe nicht eindimensional national formuliert. Neben der Wertschöpfung soll der pflegliche Umgang mit den Ressourcen stehen, mit Wasser, Boden und Atmosphäre. Die Artenvielfalt soll ebenso bewahrt werden.
Und bald ist einfach alles bio
Was für eine faszinierende Herausforderung für Wissenschaftler, alle Neben-, Folge- und Kuppelprodukte der biologischen Wertschöpfungskette zu nutzen und zugleich Emissionen zu vermindern sowie Ressourcen zu schonen! Mehr noch: Das alles soll individuell eingebettet sein in jeweils unterschiedliche ökonomische und soziale Zusammenhänge.
Aber es klingt, als habe der Rat alle Argumente möglicher Kritiker vorab zu erwidern versucht. Das wird diese kaum besänftigen.
Denn unterschwellig legen die Ratsmitglieder den Schwerpunkt ihrer Empfehlungen auf die Entwicklung neuer Hightech-Agrarprodukte. Und wo sie »Biotechnologie« schreiben, ist oft Gentechnik gemeint. »Grundsätzlich sollten Biotechnologie und ökologische Landwirtschaft nicht als Gegensätze verstanden werden, sondern sich ergänzen«, dekretiert die Studie. Das klingt zwar gut, doch lassen sich Gegensätze wirklich so einfach ex cathedra auflösen?
Das Reizwort »synthetische Biologie« taucht lapidar in Nebensätzen auf, als sei es eine Selbstverständlichkeit künftiger Entwicklung. Dabei steckt die Erforschung künstlicher Mikroorganismen, die Schadstoffe ab- oder Wertstoffe aufbauen sollen, noch im Anfangsstadium. Über die Risiken wird jetzt schon eifrig gestritten.
»Rechtliche Unsicherheiten, die die wirtschaftliche Anwendung von neuen Forschungsergebnissen behindern, sind zu klären«, heißt es lapidar im Gutachten. Doch im Streit um europäisches und nationales Recht sowie die Interessen der Bundesländer im Umgang mit transgenen Pflanzen eskaliert die Auseinandersetzung gerade. Was heißt es da, wenn der Rat »einheitliche länderübergreifende Grundsätze, zum Beispiel für Import von Biomasse und Zulassung entsprechender Kulturpflanzen zum Anbau« fordert? Heißt das im Klartext: Die EU soll über Zulassung, die europäische Lebensmittelbehörde EFSA über Anwendung und Risiken der Agro-Gentechnik zentral befinden?
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Auf den 60 Seiten klaffen oft Wunsch und Wirklichkeit auseinander, auch viele Ziele widersprechen einander. Ein Beispiel: »Die Vorteilhaftigkeit lokaler Erzeugung gegenüber transnational erzeugten und gehandelten Produkten ist dabei zu beachten.« Demgegenüber fordern die Gutachter aber explizit die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands – zumindest potenziell auf Kosten lokaler Produzenten.
Das Papier – immerhin die Blaupause für die Strategie der Regierung in einer zentralen Zukunftsfrage – stellt zwar eine Vielzahl wichtiger Fragen, eröffnet Forschungsperspektiven, formuliert Erwartungen. Doch es fehlen Prioritäten, die man politisch umsetzen könnte. Und bei aller Komplexität des Themas bleibt Zentrales unbeantwortet: Ist Hunger tatsächlich nur ein Technologie- und Ressourcenproblem? Tragen nicht auch ungeklärte Landrechte, fehlende Bildung, mangelnde Infrastrukturen dazu bei? Wie sollen sich Entwicklungs- und Schwellenländer unsere Hightech-Innovationen leisten können? Brauchen sie nicht in Wahrheit ganz andere Neuerungen?
Und das Spektrum der Disziplinen, die der Rat in den Dienst der Bioökonomie stellen will, ist bei aller Breite noch zu eng. Sozialwissenschaftler müssten prüfen, welche Innovationen sich unter welchen Bedingungen durchsetzen können. Juristen und Ethiker müssten rechtliche und gesellschaftliche Grenzen erkunden.
Die 60 Seiten Expertise sind noch kein Strategiepapier, sondern bestenfalls ein Arbeitsauftrag. Denn am Ende muss unsere – vorerst noch fiktive – Bioraffinerie nicht nur ökonomisch und ökologisch funktionieren. Sie muss auch so aufgebaut werden, dass sie im echten Leben auf Akzeptanz stößt.
Die weltweite Nachfrage nach Lebensmitteln auf Basis tierischer Eiweiße stellt zunehmend höhere Ansprüche an die Nutztierproduktion. Die Forschung in Deutschland hat dabei einen Spagat zwischen Effizienzgewinnen bei der Futtermittelherstellung, der Forderung nach Nachhaltigkeit im Wirtschaften sowie hohen Verbraucherschutzansprüchen zu bewältigen. Ist sie dafür gewappnet? Dazu fünf Fragen an Manfred Schwerin, den Sprecher der Arbeitsgruppe Tier des BioÖkonomieRats.
1. Herr Professor Schwerin, der Fleisch- und Milchkonsum nimmt zu. Gleichzeitig stellen die Verbraucher in Deutschland heute höhere Anforderungen an nachhaltiges Wirtschaften und die Qualität der Nahrungsmittel. Wie lassen sich diese Ansprüche übereinbringen?
Schwerin: Die weltweit wachsende Bevölkerung, der zunehmende Wohlstand in den Schwellenländern und die Änderung der Verzehrsgewohnheiten werden die Nachfrage nach Produkten tierischer Herkunft weiter steigern. Nach Schätzungen der FAO wird sich die Nachfrage nach Lebensmitteln tierischer Herkunft weltweit bis zum Jahr 2050 annähernd verdoppeln. Diese Nachfrage wird nur dann zu befriedigen sein, wenn es gelingt, neue Produktionsverfahren mit einem sehr hohen Innovationspotential zu entwickeln, um nachhaltig einen höheren Flächenertrag bei der Futterproduktion und Leistungssteigerung der Tiere zu erreichen. Dafür sind ein für Forschung und Innovation aufgeschlossenes gesellschaftliches Klima sowie verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen eine wesentliche Voraussetzung. Bedenkt man, dass sich über 60 % aller Erkrankungen in den modernen Industrienationen auf dem Boden einer unausgewogenen Ernährung entwickeln, spielen künftig neue Produkte - Lebensmittel mit medizinischem Zusatznutzen – eine wichtige Rolle in der Prävention chronischer Erkrankungen.
2. Immer wieder wird im Zusammenhang mit dem Klimawandel das Verhältnis von Milchproduktion und Treibhausgasemissionen diskutiert. Ist die Kuh mit einer hohen Milchquote zwangsläufig die klimafreundlichere? Welche Mechanismen wirken hier?
Schwerin: Bei der klimarelevanten Bewertung ist das unterschiedliche Treibhauspotenzial der verschiedenen Gase zu berücksichtigen. Das von Wiederkäuern stammende Protein wird dabei mit mehr Kohlendioxid (CO2)-Äquivalenten erzeugt, als das von Schweinen und Geflügel. Wesentliche Ursache dafür ist das durch die Mikroorganismen des Verdauungstraktes der Wiederkäuer produzierte Methan, dessen Treibhauspotenzial etwa 23-mal größer ist als das von CO2. Es ist dabei in der Tat so, dass die Kuh mit der höheren Milchleistung die klimafreundlichere ist. Während die Ausscheidungen je Tier ansteigen, verringern sie sich bezogen auf die Produktmenge, da sich die auf den unproduktiven Erhaltungsbedarf entfallenden Ausscheidungen auf die größere Produktmenge verteilen. Diese Betrachtungsweise ist aber letztlich zu kurz gegriffen. Um den Komplex „Reduktion von klimarelevanten Gasen“ zu optimieren sind ganzheitliche Ansätze erforderlich, die das gesamte Produktionssystem z.B. auch die Art und Intensität der Futtererzeugung oder die Bedarfsermittlung und -deckung der Tiere berücksichtigen.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass Wiederkäuer in der Lage sind, aus vegetativen Pflanzen¬bestandteilen, die von Nichtwiederkäuern und vom Menschen nicht genutzt werden, Milch und Fleisch zu erzeugen. Weltweit stehen 3,3 Mrd. ha Grasland zur Verfügung, die nur von Wiederkäuern genutzt und somit für die menschliche Ernährung erschlossen werden können.
3. Nicht anders als bei der Biomasse-Produktion zur Energiegewinnung steigen die Ansprüche an die verfügbaren Flächen durch den Futtermittelanbau. Welche Lösungen erwarten Sie, etwa hinsichtlich der Leistungsfähigkeit neuer Futtermittelpflanzen?
Schwerin: Die Verdopplung in der Nachfrage nach Lebensmitteln tierischer Herkunft bis zum Jahr 2050 wird nur dann zu befriedigen sein, wenn es auch gelingt, den Flächenertrag der Futterpflanzen wesentlich zu steigern. Darüber hinaus muss künftig in der Züchtung der Kulturpflanzen stärker als bisher auf den Futterwert als wichtige Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Fütterung geachtet werden. Der Futterwert unterliegt einer Variation, die für die Züchtung verbesserter Sorten genutzt werden könnte, wie dies beim Mais bereits erfolgt ist. Hierzu ist zukünftig eine sehr viel engere Forschungszusammenarbeit zwischen der Pflanzenzucht, dem Futterbau und der Tierernährung einschließlich der Futtermittelkunde erforderlich.
4. Ihr Institut in Dummerstorf befasst sich u.a. mit der Optimierung des Fleisch-Fett-Verhältnisses bei Rindern, einem entscheidenden Qualitätsmerkmal für das Fleisch von japanischen Kobe-Rindern. Sollte Rindfleisch mit einer solchen Qualität für möglichst viele Verbraucher verfügbar sein, und wenn ja: Wie ließe sich dies wirtschaftlich realisieren?
Schwerin: Das Fleisch des japanischen Kobe-Rindes stellt mit seinem mehr als 30 % intramuskulärem Fettgehalt eine spezifisch japanische Spezialität dar und ist mit den deutschen Verzehrsgewohnheiten nicht kompatibel. Wir befassen uns im Forschungsbereich Muskelbiologie und Wachstum unseres Institutes vielmehr mit Fragen der ressourcenschonenden Erzeugung von Rindfleisch mit günstigen ernährungsphysiologischen Eigenschaften wie günstigen Fettsäuremustern und optimalem intramuskulärem Fettgehalt für den einheimischen Markt.
5. Was geschieht aus Ihrer Sicht, wenn Handelsschranken weiter fallen und ausländisches Fleisch im großen Stil auf den deutschen Markt kommt – nicht nur aus Südamerika, sondern auch aus China und Osteuropa? Ist dort der Tierschutz nach unseren Vorstellungen realisierbar – und: Sehen Sie ein weiteres Auseinanderdriften der Bevölkerung hinsichtlich der Qualitätsansprüche an Nahrung, und damit an die Gesundheitsvorsorge durch Ernährung?
Schwerin: Der zunehmende globale Wettbewerb wird einerseits weiterhin ökonomisch effiziente Produktionsstrategien verlangen. Andererseits wird dieser aufgrund des zunehmenden Abbaus von Handelsschranken und wirksam werdender Standortvorteile essentiell zur Entwicklung von Regionalstrategien im Premium- bzw. ‚health care’-Bereich mit speziellen Haltungsverfahren, Zucht- und Vermarktungsprogrammen führen. „Ausländisches Fleisch im großen Stil auf den deutschen Markt“ sehe ich nur begrenzt, da bei notwendiger Einhaltung der europäischen Produktionsstandards in Hinsicht auf Verbraucher- und Tierschutz die in diesen Ländern gegenwärtig z. T. sehr günstigeren Produktionskosten nicht gehalten werden.
Gedenk der Tatsache, dass ca. zwei Drittel aller Humanpathogene tierischen Ursprungs sind und die Globalisierung von Märkten und der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit des Eintrags bisher als ‚exotisch’ angesehener Erreger in die deutsche Nutztierpopulation erhöhen wird, wird die zukünftige konsequente Durchsetzung der hohen veterinärhygienischen Standards ein wesentlicher Aspekt des Verbraucherschutzes darstellen.
Tatsache ist auch, dass eine ausgewogene Ernährung ein wichtiger Aspekt der Gesundheitsvorsorge ist. Allerdings wird die erfolgreiche Umsetzung neben der Entwicklung entsprechender Produkte auch entsprechende Bildungsangebote hinsichtlich einer ausgewogenen Ernährung und Veränderung von Verzehrsgewohnheiten erfordern.
der Blog gegen Lüge und für Wahrheit das System geht über Leichen
Thursday, October 25, 2012
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